Die Revolution frisst ihre Kinder
Veröffentlicht am 04. November 2013 von Wiegand Grafe bei Feministisches Institut Hamburg
Was für ein machtvoller Gegenschlag. Neunzig Prominente und eine Vielzahl von meist akademisch gebildeten ErstunterzeichnerInnen unterstützen einen restaurativen Appell der Zeitschrift „Emma“ gegen den Versuch von Sexarbeiterinnen an den Erfolgen der sexuellen Revolution teilzuhaben. Der Wortlaut und die Liste der UnterstützerInnen ist unter http://www.emma.de/hefte/ausgaben-2013/novemberdezember-2013/appell-gegen-prostitution/ zu finden.
Der Aufruf richtet sich gegen das 2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz, dass die rechtliche Stellung von sexuellen Dienstleistungen regelt, um die Situation der SexarbeiterInnen zu verbessern. Damit wurde offensichtlich das Maß an Freiheit überschritten, das einer Minderheit zugestanden werden kann, die sich notorisch anders verhält als es die emanzipativen VorkämpferInnen für richtig halten. Dem muss mit Macht entgegengetreten werden. Die Gewissheit mit diesem Appell auf der moralisch richtigen Seite zu stehen, hat offensichtlich dazu geführt, dass die Autorinnen nicht einmal ansatzweise versucht haben, mit ihrer Argumentation der komplexen Realität gerecht zu werden. Der Aufruf ist ein Muster der Demagogie, in dem allgemein bekannte Begriffe, gesellschaftskompatible Meinungen, notwendige Forderungen und unhaltbaren Positionen so geschickt zu einem moralischen Postulat verwoben werden, dass offensichtlich selbst gestandene WissenschaftlerInnen den Überblick verloren haben und sich nicht mehr fragen, was eigentlich Sklaverei und Menschenhandel mit der juristischen Akzeptanz von Sexarbeit zu tun haben. Wenn dann noch die BefürworterInnen der aktuellen Gesetzgebung als LobbyistInnen der Frauenhändler und sogenannte „freiwillige“ Prostituierte diffamiert werden und der Drogen- und Waffenhandel zum Vergleich herangezogen wird, ist die sittliche Empörung so groß, dass man eigentlich nur noch unterschreiben kann. Dabei haben die AktivistInnen offensichtlich vergessen, dass die hohen Profitraten in den erwähnten Geschäftsfeldern nur in der Illegalität erzielt werden und wir bald vom Gedanken der Arbeitsteilung Abschied nehmen müssten, wenn wir jeden Beruf kriminalisieren wollten, in dessen Umfeld Ausbeutung, Menschenverachtung und Verbrechen anzutreffen sind.
Es ist davon auszugehen, dass die Mehrzahl der UnterzeichnerInnen keine Erfahrung mit Sexarbeit haben (weder als DienstleisterIn noch als KundIn) und sie ihr Wissen zu diesem Thema nur aus den aktuellen medialen Erzählungen über Prostitution beziehen, die mit der Realität mutmaßlich so viel zu tun haben, wie Arztromane mit der Tätigkeit im Gesundheitswesen oder eine Tatort-Folge mit Polizeiarbeit.
Trotzdem fühlen sie sich berufen mit ihrem Votum massive in das Leben anderer Menschen einzugreifen, ohne die Folgen abschätzen zu können. Wenn sich ein Mensch aus Not entschließt eine sexuelle Dienstleistung anzubieten, dann sollte jede Form von rechtsstaatlichem Schutz begrüßt und nicht bekämpft werden. War es eine freiwillige Entscheidung, ist diese zu akzeptieren und nicht durch Rechtsunsicherheit zu hinterfragen. Wird ein Gesetz von Verbrechern missbraucht, dann ist der Missbrauch und nicht das Gesetz zu bekämpfen. Wem schon diese einfachen Zusammenhänge zu unübersichtlich geworden sind, der sollte sich nicht mehr in gesellschaftliche Entscheidungen einmischen, unabhängig davon wie groß sein „Promifaktor“, seine wissenschaftliche Reputation oder wie bedeutend sein politisches Amt ist. Da hilft es auch nichts, sich auf revolutionäre Errungenschaften zu berufen, selbst wenn diese ohne Frage begründet sind.
1971 bekennen sich mutige Frauen im „stern“, dass sie abgetrieben haben. Sie legen damit das Fundament für eine Initiative, die unter dem Slogan „Mein Bauch gehört mir“ die Selbstbestimmung über ihre Körper zurück fordert und beginnen eine langen Kampf für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Die Aktivistinnen stellen sich einer empörten Mehrheit entgegen, die den Abbruch für ein Verbrechen hält, ihn als „Abtreibung“ bezeichnet und von Mord am ungeborenen Leben spricht. Die mutigen Frauen und ihre UnterstützerInnen wissen, dass sie mit ihrer Forderung das Rechtsgut der Selbstbestimmung der Frau über die religiös geprägte Unversehrtheit des beginnenden Lebens stellen. Eines ihrer wichtigsten Nebenargumente für eine Legalisierung war es, dass ein Schwangerschaftsabbruch, der illegal durchgeführt wird, die Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Frau erheblich vergrößert, aber dass die Not, in der sich Frauen für diesen Schritt entscheiden, durch kein Verbot kompensiert werden kann. Sie haben, gestützt auf wissenschaftliche Erkenntnisse und in bester Tradition der Aufklärung, die Diskussion aus der religiösen Umklammerung befreit und erreicht, dass die Mehrheit der Gesellschaft eine erfolgreiche Befruchtung nicht mehr als beginnendes Leben überhöht.
2013 fühlt sich die vormalige Avantgarde der sexuellen Revolution berufen, den mutigen Frauen, die seit langer Zeit eine Legalisierung der Sexarbeit fordern, entgegenzutreten und für sich den Anspruch zu erheben, über den Körper von SexarbeiterInnen zu bestimmen. Hier ließe sich die Parole „Dein Körper gehört uns“ medienwirksam einsetzen. Die jetzt als Kader der Emanzipation agierenden AktivistInnen machen sich zum Sprachrohr einer moralisierenden Mehrheit, die Sexarbeit für widernatürlich hält, sie als „Prostitution“ bezeichnet und sich gekauften Sex nur als Akt von Zwang und Gewalt vorstellen kann. Zusammen mit den Unterzeichnerinnen fordern sie die erneute Kriminalisierung von sexueller Dienstleistung, um ihre Vorstellung von Moral und Geschlechtergleichheit Geltung zu verschaffen. Sie wollen mit ihrem Vorstoß das Verbrechen des Menschenhandels eindämmen und nehmen dabei billigend in Kauf, dass die Entrechtung und die Gefahr für die DienstleisterInnen erheblich zunehmen, wenn Sexarbeit nur noch in der Illegalität praktiziert werden kann. Getragen von ihrer quasi-religiösen Gewissheit versuchen sie die Mehrheit der Gesellschaft zu beeinflussen, um eine zukunftsweisende Gesetzgebung abzuschaffen, Sexarbeit wie früher zu verdammen und das sexuelle Proletariat in die Schranken zu weisen.
Die RevolutionärInnen sind nach ihrem Marsch durch die Institutionen nunmehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen, haben es sich bequem gemacht und richten von dort über die Akzeptanz anderer Lebensentwürfe. Aus dieser Position heraus ist es unvorstellbar, dass sich jemand für einen Job in der sexuellen Dienstleistung entscheidet, denn wer sich prostituieren will, kann doch JournalistIn, WissenschaftlerIn, SchauspielerIn oder PolitikerIn werden.
Quelle: http://www.feministisches-institut.de/wp-content/uploads/2013/11/DieRevolutionfrisst.pdf
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Sex, Geld und Nähe, oder: Was haben Feministinnen eigentlich gegen die Prostitution?
Veröffentlicht am 06. November 2013 von Lucas Schoppe auf Cuncti.net, vorher auf mau tau
Er möge „dieses Thema, das nicht zu den zentralsten Anliegen der Männerrechtsbewegung gehört, nicht überstrapazieren, und auch wohlverdientes Alice-Schwarzer-Bashing ist auf Dauer nur begrenzt unterhaltsam.“
Das schreibt Arne Hoffmann auf Genderama zur Kritik an Schwarzers Appell, die Prostitution „abzuschaffen“.
Das ist offensichtlich – die Forderung eines freien Zugangs zu Prostituierten als zentrales Anliegen einer politischen Bewegung zu verankern, würde das Urteil eines amerikanischen Journalisten bestätigen, die Männerrechtsbewegung habe bei weitem die schlechtesten politischen Instinkte aller Bürgerrechtsgruppen, denen er je begegnet sei („the single worst political instincts of any civil rights groups I have ever encountered“).
Dennoch berührt der Appell von Schwarzer und ihren Unterzeichnern (Senta Berger, Margot Käßmann, Wolfgang Niedecken und viele andere) Themen, die sehr wohl zentral für die Männerbewegung sind: die Frage nach der Bedeutung von Sexualität, die allgemeine Unterstellung an Männer, gewalttätig zu sein – und die Tatsache, dass Männer für Frauen bezahlen. Dabei lassen sich die kritischen Aspekte des Appells recht schnell erledigen.
In einem Artikel zum Thema bringt Schwarzer das Kunststück fertig, einerseits „mindestens“ jeden zweiten Mann, aber eigentlich schlicht so viele Männer wie nur möglich als Freier von Prostituierten hinzustellen und andererseits darauf zu bestehen, dass „eine Welt ohne Prostitution“ denkbar sei.
Das ist offenkundig utopisch – es geht nicht um die Abschaffung, sondern um das Verbot der Prostitution. Natürlich ist davon auszugehen, dass dadurch die Prostitution nicht verschwindet, sondern schlicht aus der Sichtbarkeit verdrängt wird. In Schweden, wo die Prostitution verboten ist und die Freier – nicht aber die Prostituierten – hart bestraft werden können, deuten einige Ergebnisse darauf hin, dass dies die Situation für Prostituierte eher erschwert als verbessert.
„Hinweise darauf, dass sich das Sicherheitsgefühl von Frauen in der Prostitution verschlechtert hat, sowie auf die Verschlechterung der Situation von Migrantinnen werden in Schweden zugunsten eines höheren gesellschaftlichen Ziels ausgeblendet“,
schreibt dazu das deutsche Familien- und Frauenministerium.
„Auch die Abschaffung der Sklaverei galt vor gar nicht so langer Zeit noch als Utopie.“ In diesem Zitat aus dem Appell geraten Schwarzer und ihren Unterzeichnern offenbar moralische Verurteilung und sachliche Bewertung durcheinander: Dass für sie – im Unterschied zu Prostituierten selbst – Prostitution moralisch mit der Sklaverei gleichzusetzen ist, bedeutet schließlich noch nicht, dass sie tatsächlich ebenso abgeschafft werden kann.
„Die Reform des Prostitutionsgesetzes 2002, die angeblich den geschätzt 700.000 Frauen (Mittelwert) in der Prostitution nutzen sollte, trägt die Handschrift der Frauenhändler und ihrer LobbyistInnen.“
Bei Sätzen wie diesen sind Zweifel angebracht, ob Schwarzers Unterzeichner den Text vor ihrer Unterschrift eigentlich zumindest oberflächlich gelesen hatten. Immerhin unterstellen sie hier ohne alle Belege der verantwortlichen rot-grünen Regierung, dass internationale Frauenhändler sie gekauft und sich damit die Möglichkeit verschafft hätten, Gesetze nach ihrem Gutdünken zu formulieren und durch das Parlament zu bringen.
„Das System Prostitution degradiert Frauen zum käuflichen Geschlecht (…).“ Das kann so nur jemand behaupten, der sexuellen Verkehr zwischen Frauen und Männern, ganz gleich welcher Art, als Inbesitznahme der Frau durch den Mann versteht. Ganz im Einklang damit wird eine „Deregulierung von Frauenhandel und Prostitution“ gefordert – als ob Frauenhandel, der weiterhin natürlich verboten ist, durch die rot-grüne Regierung „dereguliert“ worden sei. Die pauschale Bewertung der Prostitution als Kauf der Frau durch den Mann erlaubt es nicht, Unterschiede zwischen freiwilliger Prostitution und Zwangsprostitution wahrzunehmen.
Ob so tatsächlich die Zwangsprostitution verhindert werden kann, ist fragwürdig.
„Meines Erachtens bekämpft man Zwangsprostitution am Besten, indem man Prostitution legalisiert, weil dies den Schwarzmarkt eindämmen, Licht in das Dunkel verbrecherischer mafiöser Strukturen werfen und diesen die Geschäftsgrundlage entziehen würde“,
schreibt Adrian im Blog Gay West.
Auch wenn eingeräumt wird, dass die Legalisierung der Prostitution polizeiliche Razzien in Bordellen erschwert hat und so auch die illegale Zwangsprostitution begünstigen könnte, lässt sich dieses Problem klären, ohne die Prostitution insgesamt wieder zu verbieten (dazu z.B. die Frankfurter Rundschau in einem Text zu den Koalitionsverhandlungen).
So schießt die Forderung nach einer „Abschaffung“ der Prostitution in ihren Metaphern und Vergleichen – Schwarzer setzt in einem anderen Text gar Prostituierte mit sexuell missbrauchten Kindern gleich – und auch in ihren Forderungen deutlich über das sachlich Begründbare hinaus. Der Bezug auf die Zwangsprostitution ist offenbar nötig, weil sonst die Forderung nach einem Verbot der Prostitution kaum begründbar wäre – gleichwohl geht es um die Prostitution insgesamt, nicht um den ohnehin schon illegalen Zwang.
Was genau aber haben Schwarzer und ihre Unterzeichner eigentlich gegen die Prostitution?
Die Frage wird umso interessanter, als einige Aspekte der Prostitution einer misandrischen Feministin doch eigentlich gut gefallen müssten. Der Mann zahlt hier für die Nähe einer Frau – „Nähe“ nicht verstanden in einem emphatisch-sentimentalen Sinn als Begegnung der Seelen, aber doch als körperliche Nähe. Aus einer männerpolitischen Perspektive ist dieser Aspekt der Prostitution eher abschreckend (und für mich persönlich war das übrigens ein Grund, weshalb ich niemals zu Prostituierten gegangen bin).
Es gibt schließlich keinen vernünftigen Grund, weshalb die Körperlichkeit, die Nähe, die Aufmerksamkeit eines Mannes weniger wert sein sollten als die Körperlichkeit, die Nähe oder die Aufmerksamkeit einer Frau. Wenn ich die Nähe zu einer Frau wünsche und erleben kann, dann ist meine Nähe zu ihr eine völlig ausreichende Gegenleistung – ich sehe keinen Grund, weshalb ihr oder mir darüber hinaus noch weitere Kompensationsansprüche entstehen sollten. Dass Männer für die Nähe von Frauen zu bezahlen haben, ist ein Aspekt der Prostitution, der sie für Männer entwürdigend machen kann – es ist, als ob eine Frau dafür entschädigt werden müsste, dass sie die körperliche Nähe eines Mannes erträgt.
Hier allerdings passt sich die Prostitution offenkundig gut in traditionelle Formen der Beziehungsanbahnung ein. Dass der Mann zunächst einmal zu bezahlen, also beispielsweise bei einem Rendezvous die Frau einzuladen habe, ist eine tradierte Selbstverständlichkeit, der auch heute noch viel Frauen und Männer nachhängen. Erklärbar ist das leicht mit Rückgriff auf evolutionspsychologische Erwägungen: Der Mann müsse demnach, um für eine Frau als Partner in Frage zu kommen, zunächst einmal seine Bereitschaft und Fähigkeit belegen, für die Frau – und mögliche Nachkommen – zu sorgen und seine verfügbaren Mittel nicht allein für sich selbst zu investieren.
Heute jedoch, da ja so klare Zuordnungen des Geschlechterverhaltens längst an Funktionalität verloren haben, bekommt die Erwartung an den Mann, für beide zu zahlen, einen anderen Charakter – zumindest wenn sie über die rein spielerische Inszenierung traditioneller Rollen hinausgeht. Diese Erwartung suggeriert nun, dass Nähe und Aufmerksamkeit des Mannes als Gegenstück zur Nähe und Aufmerksamkeit der Frau nicht ausreichen können, sondern dass der Frau eine weitere Kompensation zustünde.
Warum aber sind Strukturen, in denen der Mann implizit einen geringeren Wert als die Frau hat und dies durch finanziellen Einsatz ausgleichen muss, für misandrische Feministinnen nicht attraktiv?
Das lässt sich gut an einem Text erklären, der zufällig fast zeitgleich mit Schwarzers Appell erschien und der hier schon Thema war. Wenn Antje Schrupp erklärt, wodurch sie ein unfreundlicher Mensch wurde, und zur Begründung von einem Erlebnis als Vierzehnjähige berichtet, dann greift sie damit eigentlich auf ein sehr traditionelles literarisches Muster zurück: auf das der Initiationsgeschichte.
Sie erlebt aber gleichsam eine pervertierte Initiation, nicht einen Eintritt in die Welt, sondern einen in das „Patriarchat". Anders als bei klassischen Schriftstellerinnen wie etwa Jane Austen, die wieder und wieder „a young lady’s entrance into the world“ gestalteten, sind bei Schrupp die Konsequenzen dieses Eintritts negativ, nicht positiv. Sie gewinnt nicht dazu, indem sie sich der Welt und die Welt sich ihr öffnet, sondern sie verliert etwas – als Frau und junges Mädchen sei sie eigentlich schon vollständig, ruhend in sich gewesen, die patriarchale Gewalt habe sie aber gleichsam aus ihrem Schwerpunkt gerissen.
Diese Phantasie einer umfassenden männlichen Herrschaft, die übrigens deutlich narzisstische Züge trägt, prägt auch Schwarzers Appell. Es ist für sie und ihre Unterschreiber uninteressant, mit Prostituierten selbst zu sprechen, so wie auch die Unterschiede der Lebensbedingungen von Zwangsprostituierten oder Luxus-Callgirls, von Frauen auf dem Drogenstrich oder in der Gelegenheitsprostitution sie nichts anzugehen scheinen. Männliche Prostituierte oder weibliche Kundinnen haben im Bild erst recht nichts zu suchen und werden bestenfalls am Rande einmal pflichtschuldig erwähnt. Die Prostitution ist hier schlicht ein Anlass, um noch einmal das alte Lied von der Männerherrschaft anzustimmen.
Eben diese Fiktion einer umfassenden patriarchalen Gewalt aber begründet weibliche Kompensationsansprüche an Männer neu, die eigentlich schon längst zu Gunsten einer gleichberechtigten Geschlechterbeziehung hätten aufgegeben werden müssen. Da Frauen in einer feministisch inspirierten Geschlechterpolitik rundweg als Geschädigte einer diffus bleibenden, aber offenbar unerschütterlichen männlichen Dominanz dargestellt werden, ist auch der Ausgleich, der ihnen demnach zustehe, prinzipiell unendlich groß. Es ist schlicht kein Punkt erkennbar, an dem „das Patriarchat“ und seine Nutznießer (prinzipiell alle Männer) für die Sünde ihrer Dominanz genug bezahlt hätten.
Eben deshalb aber erleben Feministinnen wie Schwarzer die Prostitution wohl als Provokation. Auch hier müssen Männer Frauen dafür finanziell kompensieren, dass sie sich ihnen überhaupt nähern – hier aber ist die Kompensation, so groß sie auch sein mag, prinzipiell begrenzt und Ergebnis von Aushandlungsprozessen, an denen beide Seiten freiwillig beteiligt sind.
Daher ist denn auch für Schwarzer und andere der Gedanke so unerträglich, dass es Frauen gibt, die sich freiwillig prostituieren – sie sind dann nämlich keine hilflosen Opfer männlicher Dominanz, und wenn der Mann den vereinbarten Preis bezahlt hat, dann hat er auch genug geleistet und ist ihr darüber hinaus nichts weiter schuldig. Eben das akzeptieren die Unterstützer eines Prostitutionsverbots nicht – auch und gerade dann, wenn der Mann bezahlt hat, hat er nicht etwa seine Schuldigkeit getan, sondern muss nach ihren Vorstellungen darüber hinaus dafür bestraft werden, dass er sich als Nutznießer der patriarchalen Dividende eine Frau verfügbar gemacht habe.
Gleichwohl ist die Prostitution kein ganz normaler Beruf. Würde eine Schülerin im Unterricht erzählen, dass ihr Berufswunsch „Prostituierte“ sei, dann würden Lehrer vermutlich eher irritiert reagieren, als ihr etwa zuzuraten, dass sie dort gewiss viele interessante Leute kennen lernen würde o.ä. Allerdings habe ich als Lehrer auch noch nie einen Jungen erlebt, dessen Berufswunsch die Arbeit bei der Müllabfuhr oder im Straßenbau gewesen wäre. Es ist selbstverständlich, dass junge Männer diese und andere, möglicherweise stark gesundheitsgefährdende Berufe nicht aus Neigung, sondern aus finanzieller Notwendigkeit ergreifen. Warum ist das so viel weniger skandalös als die weibliche Prostitution?
„Mit dem Verbot der Prostitution würde man zur absurden Situation gelangen, dass Sex legal ist, Geld verdienen legal ist, aber die Verbindung zwischen beidem nicht“,
schreibt Adrian in seinem Text. Ganz normale alltägliche Aushandlungsprozesse werden offenbar illegitim, sobald Sexualität im Spiel ist, und alltägliche Sexualität wird illegitim, sobald sie in Aushandlungsprozesse eingebunden wird. Das ist nur mit einem sehr unplausiblen Bild von Sexualität erklärbar.
Einerseits wird Sexualität hier offenbar weiterhin und gegen alle Sexualaufklärung der vergangenen Jahrzehnte als etwas Sündhaftes und Schmutziges erlebt – als etwas, das auch normale geschäftliche Beziehungen beschmutzt, die in anderen Kontexten unzweifelhaft legal wären.
Andererseits kann Sexualität aus ihrer Sündhaftigkeit offenbar erlöst werden – wenn sie als etwas Reines, Unverdorbenes daherkommt, als völlig freie Begegnung der Seelen. Diese Erlösung aber wird ihr natürlich versagt, wenn sie in alltägliche Aushandlungsprozesse eingebunden und bezahlt wird.
Auf diese Weise ist der Appell von einem krassen Schwarz-Weiß-Bild der Sexualität geprägt, das zwischen Verdammung und Sakralisierung schwankt und dessen Seiten kaum miteinander vereinbar sind. Ein pragmatischer, nüchterner Umgang der Geschlechter miteinander ist damit kaum möglich. Dies ist umso gravierender, als der Appell beide Seiten der Sexualität ja sauber zwischen den Geschlechtern aufteilt – würde nicht der männlichen Sexualität der schmutzige, der weiblichen aber der reine Teil zugewiesen, dann ließe sich beispielsweise kaum erklären, warum denn die (männlichen) Freier bestraft werden sollen, die (weiblichen) Prostituierten aber nicht.
Schwarzers Unterschreiber haben möglicherweise subjektiv das Motiv, liebevollere, respektvollere Beziehungen zwischen den Geschlechtern zu ermöglichen. Die Unterstützung eines misandrisch begründeten Prostitutionsverbots trägt dazu offenkundig nichts bei. Wesentlich sinnvoller wäre es zu akzeptieren, dass sich keines der Geschlechter an das andere prinzipiell endlos verschuldet hat – und dass auch Liebe, Nähe und Sexualität natürlich Gegenstände alltäglicher ziviler Aushandlungsprozesse sein können, in denen Begriffe wie Fairness und Autonomie wesentlich wichtiger sind als Kontraste von Sünde und Heiligkeit.
Eines der grausamsten und destruktivsten deutschen Gesetze, die ich kenne, etabliert Bedingungen, in denen eine Mutter sich – nicht nur für die Kinder, sondern vor allem für sich selbst – eben gerade dadurch den Anspruch auf umfangreiche Zahlungen durch den Vater erwirbt, dass sie Väter und Kinder willkürlich voneinander trennt und die väterliche Sorge für die Kinder verhindert. Ich kenne viele Väter und Kinder (mich und unser Kind eingeschlossen), die unter solchen Regelungen erheblich leiden.
Dadurch, dass er der Frau nahe gekommen ist und ein Kind mit ihr gezeugt hat, ist ein Mann offenbar in einer Weise kompensationspflichtig geworden, die alle herkömmlichen Fairness-Erwägungen und Überlegungen zum Kindeswohl außer Kraft setzt. Es sind solche Regelungen, die das Prinzip Geld gegen Nähe in Gesetzesform gießen und endgültig in die Perversion treiben.
Wer also tatsächlich liebevollere und respektvollere Beziehungen zwischen den Geschlechtern befördern möchte, hat hier gute, mannigfaltige und lohnende Möglichkeiten, tätig zu werden.
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Prostitution ist ein Deal
Veröffentlicht am 10. November 2013 von Bernd Begemann in „Die Welt“
Bernd Begemann lebt auf St. Pauli und ist mit vielen aus dem Gewerbe bekannt. Die von Alice Schwarzer initiierte Verbots-Kampagne hält er für demagogisch und totalitär.
Ich wohne auf St. Pauli. Genau, das ist der Stadtteil, wo alle guten Deutschen mindestens einmal in ihrem Leben vorbeikommen, um sich richtig schlecht zu benehmen. Unterschiede zum Stadtteil, in dem Sie wohnen? Oh, einige! Zum Beispiel kann ein Mann hier Frauenkleider tragen, ohne von "echten Männern" dafür verprügelt zu werden. Die Frauen, die Sie wahrscheinlich "Nutten" nennen, laufen hier offen herum, statt sich verstecken zu müssen.
Irgendwann belauschst du unabsichtlich ihre Gespräche in der Bäckerei, irgendwie ergibt es sich, dass du ihnen zuhörst. Ja, sie wohnen in Pinneberg oder Winsen an der Luhe, ja, sie sind stolz auf ihr schwarzes Golf GTI Cabriolet, nein, die Nachbarn wissen nichts. Einige haben "aus ihrem Hobby einen Beruf gemacht", andere das kleinste Übel gewählt, weil sie "keinen Bock auf die Alternativen" hatten. Du hörst ein paar lustige Geschichten, ein paar traurige Geschichten. Ein wenig Wehmut, ein bisschen Wut, ein bisschen Hoffnung. Eigentlich genauso, als wenn man mit Kfz-Mechanikern oder Ärzten abhängen würde.
Das sind aber sicherlich nicht die Frauen, die Alice Schwarzer mit ihrem "Emma"-Appell gegen Prostitution gemeint hat, oder? Wahrscheinlich doch. In ihrem Appell nennt sie diese nämlich die "sogenannt 'freiwilligen' Prostituierten". Denn, verstehen Sie, diese Personen sind ja so beschädigt, verängstigt, traumatisiert, dass man ihnen so etwas wie freie Entscheidungsfähigkeit nicht zugestehen kann und sie auf gar keinen Fall für sich selbst sprechen lassen darf.
Ihre selbst gegründeten, selbst verwalteten Interessenverbände? Willenlose Spielzeuge in den Händen ausländischer Menschenhändler. Ihre Diskussionsbeiträge? Werden geblockt im Emma-Forum, denn, verstehen Sie, Feminismus-Zersetzung droht. Die Frau, die antrat, ihre Schwestern zu befreien, kann deren störendes Geschnatter nicht ertragen. Ab diesem Punkt ist Alice Schwarzers Weltbild ein hermetisch geschlossenes und rigide ausschließendes System, vergleichbar vielleicht mit dem eines Stalinisten in den 50er-Jahren: Der große Krieg wurde gewonnen, nun ging es darum, die Welt endgültig in Freunde und Feinde aufzuteilen und den Eisernen Vorhang zuzuziehen.
Während ein Stalinist zu jener Zeit alle weltweiten Vorgänge als Teil des "ewigen" Klassenkampfes deutete, können Frau Schwarzer und ihre Kader die Welt nur im Rahmen der "ewigen" patriarchalischen Strukturen begreifen. Das ist extrem reduzierend, intellektuell faul und im Falle ihres Appells totalitär gegenüber sehr vielen Menschen.
Ich empöre mich über jemanden, der meine Kieznachbarn nicht als bewusst handelnde Menschen akzeptiert, sondern nur als hilflose, zurückgebliebene "Opfer", die ins Licht geführt werden müssen. Ja, das erinnert mich an die grausamen Zwangsmissionierungen des Kolonialzeitalters, komplett mit dem wohltäterischen Gehabe, an das "Maßnahmen" zur "Eindämmung" und "Abschaffung" nun einmal gekoppelt sind.
In letzter Zeit agiert Frau Schwarzer wie – Entschuldigung, ich finde kein besseres Wort dafür – ein heimtückischer Demagoge. Was macht ein Demagoge? Er versteckt seine Agenda unter dem Mäntelchen des Mitfühlens, der Sorge: In diesem Fall der Sorge um die armen Opfer des Patriarchats und, wenn man dem Untertitel ihres Buches glauben darf, um die nationale Ehre (Klassiker!). Was macht ein Demagoge weiter? Er sorgt dafür, dass die Begriffe nicht mehr das bedeuten, was sie bedeutet haben, sondern nunmehr das, womit der Demagoge sie auflädt.
Der Demagoge sorgt für eine Umdeutung, die er dem faszinierten Publikum als Gegebenheit verkauft. Und, das muss man zugeben, Letzteres ist Frau Schwarzer erschreckend gründlich gelungen. Seit Beginn ihrer Bemühungen sehen viele Menschen in diesem Land viele Dinge anders, sind sich "nicht mehr sicher" und sagen so etwas wie "etwas muss doch dran sein". Wir sehen den Begriff "Prostitution" nicht mehr so wie bisher, als Teil des Lebens. Nein, nun ist sie etwas Höllisches. Ein paar einfache, rhythmisch wiederholte Umdeutungen haben verfangen. Diese lauten: Prostitution IST Menschenhandel. Prostitution IST Sklaverei (welch ein Hohn gegenüber Menschen, die echte Sklaverei ertragen mussten und müssen!).
Mit Ihrer werten Erlaubnis werde ich nunmehr wiedergeben, was für die Stricher, Huren, Eskort-Männer und -Frauen, die ich das Privileg besitze, getroffen zu haben, das Wort "Prostitution" bedeutet: ein Deal. Ein recht einfacher, übersichtlicher und zeitlich begrenzter Tausch namens "Gib mir eine bestimmte Summe Geldes und ich lasse dir intime Zuwendung auf deine bevorzugte Weise angedeihen". Beide Seiten wollen es, beide Seiten gehen hinterher ihrer Wege. Das ist Prostitution, nicht mehr und nicht weniger.
Wenn Menschen bedroht, geschlagen und zum Geschlechtsakt mit anderen Personen gezwungen werden, so ist das klar definiert als Erpressung, Körperverletzung und Nötigung. Welche Interessen könnte jemand verfolgen, diese kriminellen Handlungen "Prostitution" zu nennen? Dieser Demagoge will eine Vereinbarung zu einem Verbrechen erklären. Denn der Mensch hinter dem Demagogen, und das sei ihm zugestanden, fühlt echte Abscheu gegenüber diesem Vorgang, vielleicht aus emotionalen, vielleicht aus weltanschaulichen Gründen. Aber dieser Mensch hat kein Recht, seinen Schmerz anderen Menschen aufzuzwingen, die eben anders empfinden. Er hat kein Recht, die Welt nach persönlichem Gutdünken zu disziplinieren. Ich sage "pfui" zum Anti-Prostitutionsappell der "Emma", weil er diejenigen entmündigen will, denen er zu helfen vorgibt.
Der Autor ist Musiker und lebt in Hamburg
Quelle: http://www.welt.de/debatte/kommentare/article121733732/Prostitution-ist-ein-Deal-kein-Verbrechen.html
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Veröffentlicht von Antonia Baum am 19. November 2013 in „FAZ“
Wie kann das sein, dass alle so eine klare Meinung zum Thema Prostitution haben? Ist es nicht eher menschenunwürdig, an der Supermarktkasse für nichts zu arbeiten? Muss man nicht erst mal alles ändern, bevor man die Prostitution abschafft?
Die sogenannte Podiumsdiskussion, welche Alice Schwarzer zur Vorstellung ihres Buches „Prostitution - ein deutscher Skandal“ in Berlin einberufen hatte, sie war der Bezeichnung nach wirklich ein Witz, ein Diktatorinnen-Witz, den man nur im Stande ist zur Aufführung zu bringen, wenn man entweder verrückt oder knallhart kamikazemäßig drauf ist. Es ist sehr langweilig und überhaupt nicht weiterführend, über Alice Schwarzer zu schimpfen, und darum soll es hier auch nicht gehen, aber die Geschichte lässt sich ohne Alice Schwarzer nicht erzählen, weil sie es ist, die „die Prostituierten“ (alle, unterschiedslos) retten will, die für sie immer Opfer sind.
Zurück auf das Podium am vergangenen Donnerstag: Da oben sitzen also mit Alice Schwarzer, welche, klar, die Diskussion moderiert, vier Menschen, die Schwarzers Meinung sind, nämlich die Mitautorin des Buches, eine Sozialarbeiterin, die einen Prostituiertentreff leitet, eine ehemalige Prostituierte und ein Kriminalhauptkommissar - allesamt von Schwarzer rekrutiert, um Schwarzer ihre Meinung zu sagen, was genauso voraussehbar wie unglaublich ist, weil im Publikum so viele Menschen sitzen, die ganz anderer Meinung sind, die aber nicht gehört werden dürfen, weil sich die Buchvorstellerin eben absolut sicher ist, was die richtige Meinung ist.
Während, äh, diskutiert wird, das heißt, während man sich auf der Bühne gegenseitig versichert, rufen einige im Publikum dazwischen, ein paar Frauen versuchen, indem sie ein Banner vor sich her tragen, auf welchem „Mein Beruf gehört mir“ geschrieben steht, auf sich aufmerksam zu machen, aber sie werden sofort von Ordnern abtransportiert, weil sie anderer Meinung sind und das Einerlei da oben nicht stören sollen.
Und das ist überhaupt der zentrale Schwachsinnspunkt in der Debatte um die Frage, ob Prostitution nun verboten gehört oder nicht, ob Männer Frauen Sex abkaufen dürfen (denn einzig um dieses Modell geht es Schwarzer) und schließlich sehr schlicht: ob man Prostitution richtig oder falsch findet - ja, der zentrale Schwachsinnspunkt ist, dass es um richtig und falsch und um finden geht. Mehr so eine Gefühlssache also, verlässliche Zahlen gibt es kaum, weder über die Anzahl der in Deutschland arbeitenden Prostituierten noch über deren Herkunft, und folglich lässt sich auch nur schwer beantworten, wer was, warum und wie freiwillig tut.
Alice Schwarzer schmiss bislang mit bemerkenswerten Zahlen um sich, von denen kein Mensch weiß, woher sie die eigentlich hat: 90 Prozent der Prostituierten wollten aussteigen, weiß sie, außerdem würden ebenfalls 90 Prozent des deutschen „Frischfleisches“ aus Osteuropa kommen, und grundsätzlich sei es so, dass „über 90 Prozent“ der Prostituierten schon als Kinder missbraucht worden seien. Diese extrem entschlossene Finderei ist also das Merkmal der Debatte, wie auch der Auseinandersetzung auf dem Podium, welche ja ursprünglich von dem allergrößten Meinungs-Finder-Zusammenschluss angestoßen wurde, nämlich mit der Unterzeichnung des „Emma“-Appells gegen Prostitution von Prominenten. Schon da fragte man sich, ob man selber oder die Unterzeichner die Welt nicht mehr verstehen, denn woher wissen Margot Käßmann, Senta Berger, Maria Furtwängler und Frank Schätzing so absolut sicher, was richtig ist und wie die Realität von „den Prostituierten“ zu beurteilen ist? Wie schafft man so etwas?
Denn wenn man beginnt, darüber nachzudenken, stürzt einem doch fast der Kopf ein unter dem großen Fragegewicht: Gibt es Menschen, die Prostitution wie einen normalen Beruf betrachten? Ja, es gibt sie. Tut ihnen das nicht trotzdem weh, hinterlässt das nicht Schäden? Darf man überhaupt für einen anderen Menschen entscheiden, dass er etwas nicht tun darf, weil er einen Schaden davon bekommen könnte? Was ist ein Schaden überhaupt? Tun Sexarbeiterinnen ihre Arbeit gerne, freiwillig, weil sie es müssen? Wann kann man das, was man tut, freiwillig nennen? Geht irgendjemand freiwillig putzen? Ist eine Tätigkeit, die man tun muss, um Geld zu verdienen, immer noch freiwillig? Ist Arbeit überhaupt etwas Freiwilliges, und wäre es nicht viel konsequenter und hilfreicher, Alice Schwarzer würde das bedingungslose Grundeinkommen fordern?
Das aber würde Alice Schwarzer niemals einfallen, die immer noch auf dem Podium sitzt und in Zusammenarbeit mit ihren Gästen Frontalunterricht abhält, ganz egal, ob an den Seiten der Ränge Mitglieder des „Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen“ stehen und protestieren. Sie haben den Gegen-Appell „PROstitution“ formuliert und fordern die Beteiligung von „Sexarbeiter/innen“ an politischen Prozessen, die sich mit dem Thema Prostitution befassen. Sie wollen weder eine Ausweitung der Polizeibefugnisse noch eine Kriminalisierung der Kunden. Sie sind für Aufklärung statt Verbot, für staatlich geförderte Weiterbildungsmaßnahmen und für einen respektvollen Umgang mit Prostituierten. In ihrem Faltblatt schreiben sie: „Alle reden über uns, aber niemand redet mit uns. (. . .) Wir sind keine Opfer! Wir sind Menschen, die selbstbestimmt ihren Beruf gewählt haben, wie andere das auch tun.“ Aber wer ist jetzt genau „wir“? Man weiß es nicht. Alle Prostituierten? Alle, die sich selbstbestimmte Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter nennen?
In Schwarzers Kategorien aber sind solche Frauen, die dort absolut intakt und stark stehen, nicht denkbar. Sie existieren nicht, sie machen sich in ihrer Vorstellung wahrscheinlich etwas vor oder sind sonst wie geschädigt, was natürlich eine maximale Entmündigung dieser Frauen ist, aber solche Frauen dürfen offenbar entmündigt werden, solange es Schwarzers ideologischem Superziel dient: eine Welt, in der Männer Frauen nicht für Sex bezahlen dürfen, was für sie gleichbedeutend ist mit: Männer dürfen Frauen nicht kaufen, womit Prostitution ja sofort in die Nähe von Leibeigenschaft gerückt wird.
Schwarzer sieht in der Prostitution eine besonders hässliche Ausprägung des Patriarchats, und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es, wenn es um Sex und Geld geht, auch immer um Macht geht. Und es ist ebenso falsch, diesen potentiell schädlichen Zusammenhang auszublenden, wie, einseitig auf ihm herumzuhüpfen. Dennoch mag er für manche Prostituierte absolut stimmen. Davon erzählt die Sozialarbeiterin auf der Bühne glaubhaft und im Unterschied zu Schwarzer auch differenziert: Die Frauen, mit denen sie in Stuttgart zu tun habe, seien arm, jung, nicht selten krank, sie sprächen kaum Deutsch und seien Prostituierte, weil sie es müssten. Sie, die Sozialarbeiterin, habe ihnen von Prostituierten berichtet, die diesen Job machten, weil sie es wollten, und das hätten diese jungen Frauen einfach nicht glauben können.
Der Hauptkommissar beschreibt seine Durchschnittsprostituierte: Sie sei zwischen 18 und 20 Jahren alt und komme aus Osteuropa. Dann rufen die PROstitutions-Aktivistinnen wieder: So ist das nicht, die Realität ist eine andere. Auch, wenn sie an diesem Abend nicht gehört werden, sagen sie, Prostitution sei weder Sklaverei (komischer Vergleich tatsächlich) noch Menschenhandel, geschehe sie gegen den Willen der Frauen, handele es sich um einen Straftatbestand. Wie soll man darüber verhandeln, ohne Genaueres zu wissen? Was denken die Prostituierten, die abgerissen und drogenabhängig an der Berliner Kurfürstenstraße stehen und an diesem Abend überhaupt nicht vertreten sind? Was würden die jungen Frauen sagen, von welchen die Sozialarbeiterin berichtet hat?
Auch hier wieder: eine Gruppe, eine und natürlich die richtige Meinung. Eine junge Frau zieht, anders als die Femen, welche als Schwarzer-Unterstützung im Publikum sitzen, nicht ihr T-Shirt aus, sondern die Hose runter und läuft mit nacktem Po über die Bühne, was zu Juhu- und Buh-Rufen führt, und nachdem man sich dann, mit kurzen Unterbrechungen, lange genug einig war, werden noch ein paar Wortmeldungen zugelassen: Ein Mann im Rollstuhl erzählt, dass er regelmäßig zu Prostituierten gehe und es schon mehrfach erlebt habe, dass eine Prostituierte ihn wegen seiner Behinderung abwies, worin er einen selbstbestimmten Akt sehe. Er könne das Elend, welches auf der Bühne beschrieben wurde, nicht erkennen. Ferner sei er kein Schwein, ferner seien nicht alle Freier Schweine.
Ziemlich genau das Gegenteil möchte Schwarzer in Zukunft in den Köpfen dieses Landes als Meinung installieren: Freier sollen geächtet werden. Ächtung - was ist das für eine Hexenverbrennungsvokabel in dem demokratischen Rechtsstaat, in welchem wir leben, wie Schwarzer unablässig betont? Sie guckt auf den Mann im Rollstuhl herunter und erinnert ihn völlig grotesk daran, dass er als Behinderter auch andere Möglichkeiten habe, um sexuell erfüllt zu leben, und außerdem wären jetzt auch mal die anderen dran. Zack, Nächster. Eine Frau erzählt, dass sie schon lange als Prostituierte arbeite. Sie komme aus Bulgarien und habe noch nie eine Frau getroffen, die zur Prostitution gezwungen würde, was Schwarzer überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen will, wie sie auch alle weiteren Wortmeldungen, die folgen, nicht hört, sondern die Diskussion, die zu diesem Zeitpunkt des Abends vielleicht annähernd eine genannt werden dürfte, ganz schnell zusammenfaltet und abbricht.
Später laufen etwa zwanzig Menschen, überwiegend Frauen, auf der Suche nach einer Bar durch die Straßen Schönebergs. Viele von ihnen nennen sich Sexarbeiter und sind ziemlich sauer. Eine von ihnen heißt Paulita Pappel und redet so schnell und klug und kraftvoll, dass man sich wünscht, sie hätte auf dem Podium gesessen und diskutiert. Sie ist die Frau, welche vorhin ihren Po gezeigt hat. Ihre Mutter ist eine Alice-Schwarzer-Feministin, Paulita kommt aus Spanien und ist 25 Jahre alt. Gerade beendet sie ihr literaturwissenschaftliches Studium. „Als ich 17 Jahre alt war, habe ich auch so gedacht! Ich war gegen Prostitution. Jetzt verdiene ich mein Geld als Prostituierte und spiele in Pornos mit. Ich arbeite vier Tage und kann davon drei Monate leben. Das ist doch super! Ich musste vorhin auf die Bühne gehen und meinen Po zeigen, weil die Diskussion so dumm und einseitig ist. Prostitution ist nicht das Problem. Das Problem ist Sexismus, Rassismus und Armut! Darüber muss man reden!“
Eine andere junge Frau, von der man denkt, dass sie bestimmt Räucherstäbchen und indische Figuren zu Hause stehen hat, erzählt: „Ich massiere lieber einem Mann mit Hingabe den Schwanz, als an der Kasse zu sitzen.“ An der Kasse sitzen, putzen, Leuten irgendwelchen Mist andrehen, bei Douglas oder so, auf stupideste Weise dieses menschenfeindliche kapitalistische Drecksrad am Laufen halten - ist das nicht auch total schädlich für den Kopf? Macht das irgendwer echt freiwillig? Und ist das nicht eine absolut zulässige Frage, wenn man Zwangsprostitution, Menschenhandel und Prostitution trennt?
Ein Sexualtherapeut, der auch irgendetwas mit sexuellen Massagen arbeitet, berichtet in der Kneipe von seinen vielen total netten, aber kaputten Erfolgsklienten mit Karriere. Er würde denen auch manchmal raten, in den Puff zu gehen. Immer funktionieren, dauernd Sex überall, den man zu Hause meistens nicht bekomme, das frustriere ungeheuer. Unsere Gesellschaft sei wie ein Dampfkochtopf und die Sexarbeiterinnen das Ventil. Vielleicht, nein sicher, müsste Alice Schwarzer, wenn sie nicht Alice Schwarzer wäre, die Abschaffung dieser Gesellschaft fordern.
Dann gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder Männer geraten grundsätzlich nicht in existenzielle Zwangslagen, das ist so eigentlich unglaublich, oder Frauen lösen ihre Zwangslagen anders als Männer. Lösen Frauen das anders, dann gibt es wieder zwei Möglichkeiten. Entweder kommen dann Männer in genauso verwerfliche Situationen wie Frauen, die sich aus diesem Zwang heraus prostituieren. Warum gibt es dann keine öffentliche Diskussion über die verwerflichen Situationen der Männer ? Oder Männer akzeptieren diese Situationen oder lösen sie auf moralisch einwandfreie Weise.
Das interessante daran ist, dass jede mögliche gerade beschriebene Situation viele betroffene Frauen im Endeffekt eine emanzipierte Lösung solcher Zwangslagen nicht hinkriegen. Das würde wenig für die Emanzipation der Frauen selbst sprechen. Damit sprechen die lieben Feministinnen Frauen in Notlagen eine vernünftige Lösung ihrer Probleme ab. Kann es nicht vielleicht doch sein, dass dies für eine nicht unbedeutende Anzahl Frauen in Zwangslagen eine sehr einfache Lösung ihrer Probleme darstellt und damit durchaus gewollt ist, weil alle anderen Lösungen nicht so einfach sind ?
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Über Sex gegen Bezahlung
Veröffentlicht von Harald Martenstein am 28. November 2013 in „Die Zeit“
Ich möchte beschreiben, wie ich mir zu einer umstrittenen politischen Frage, in der ich anfangs unsicher war, eine Meinung gebildet habe. Es handelt sich um das Verbot der Prostitution. Alice Schwarzer und andere fordern seit Wochen, dass es verboten werden soll, dass Menschen für Sex Geld bezahlen. Da habe ich mir überlegt, aus welchen Gründen Menschen überhaupt miteinander Sex haben oder miteinander schlafen oder wie immer man es nennen will. Warum tun Menschen das? Sind es, von der Prostitution abgesehen, immer über jeden moralischen Zweifel erhabene Gründe? Und, falls nicht: Was davon soll erlaubt bleiben, und was soll verboten werden?
Menschen haben Sex, weil sie eine Beziehung oder eine Ehe führen und sich sowohl körperlich als auch charakterlich anziehend finden. Menschen haben Sex, weil sie seit Jahren daran gewöhnt sind, obwohl die Anziehung zwischen ihnen stark nachgelassen hat. Menschen haben Sex, weil sie die andere Person körperlich anziehend finden, an eine weiter gehende Beziehung denken sie dabei nicht. Menschen haben Sex, weil sie unter Alkohol oder Drogen stehen und ihr Urteilsvermögen reduziert ist. Menschen haben Sex, weil sie sich davon berufliche Vorteile versprechen, etwa mit Vorgesetzten. Menschen haben Sex, weil die andere Person reich ist und ihnen ein luxuriöses Leben verspricht. Menschen haben Sex, weil die andere Person berühmt oder mächtig ist. Menschen haben Sex, weil sie in diesem Moment gerade Lust darauf haben. Menschen haben Sex aus Angst, alleine zu sein, um sich an ihrem Partner für dessen Seitensprung zu rächen, um etwas für ihr Image zu tun, aus Mitleid, aus Dankbarkeit, aus einer Laune heraus, die ihnen am nächsten Tag rätselhaft vorkommt, weil sie nach Abwechslung suchen, aus Neugier, aus Langeweile, weil ihnen jemand Geld dafür gibt, weil sie Geld dafür bezahlen, weil sie verliebt sind oder weil sie sich durch Schmeicheleien haben überreden lassen.
Das alles gibt es zweifellos, und noch etwa tausend andere Gründe, sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Manche Gründe finde ich gut, andere nicht. Aber bei dem Gedanken, dass der Staat darüber entscheiden soll, aus welchen Motiven heraus Sex, und zwar freiwilliger zwischen Erwachsenen, erlaubt sein soll und aus welchen nicht, wird mir schwindelig.
Dann habe ich über Berufe nachgedacht. Alice Schwarzer sagt, Sex sei ein demütigender Beruf. Es gibt Leute, die alten Menschen Windeln wechseln und deren Genitalien waschen, andere sind Proktologen und stochern im Anus herum, wieder andere kümmern sich um Leichen oder massieren Fremden die Füße. Das ist alles notwendig, aber sehr intim, nicht jeder will das machen. Die Entscheidung, ob man eine Tätigkeit demütigend oder zu eklig findet, muss man den Leuten wohl selbst überlassen. Und Sex, ganz allgemein, finde ich sowieso nicht schmutzig oder eklig. Ohne Sex würde es mich doch überhaupt nicht geben, von Alice Schwarzer ganz zu schweigen. Ich glaube übrigens, ich wäre, wenn ich mich entscheiden müsste, viel lieber Prostituierter als Leichenwäscher oder Proktologe.
Wenn ich aber allein wäre und niemanden finden würde, der es mit mir tun möchte, vielleicht, weil ich zu hässlich bin, ganz übel rieche oder eine Krankheit habe, dann würde ich vermutlich auch Geld dafür bezahlen. Ich glaube, die Sehnsucht nach Sexualität ist kein krimineller Wunsch, sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Jetzt, Frau Schwarzer, dürfen Sie mich verhaften.
Quelle: http://www.zeit.de/2013/49/harald-martenstein-prostitution
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Alles Alice oder was?
Veröffentlicht am 06. Dezember 2013 von Antje Sievers in „Die Welt“
Zur Fußballweltmeisterschaft 2006 wurden in Deutschland 40.000 zugereiste Prostituierte erwartet. Wer damals schon wusste, dass es sich nur um 40.000 Zwangsprostituierte handeln konnte, war Alice Schwarzer. Sie hat seither dazugelernt. Heute weiß sie es besser: nicht alle, nur 95 Prozent der Prostituierten täten ihren Job ungern, verkündete sie jüngst. Denen (und den restlichen fünf Prozent gleich mit) soll ihr ungeliebtes Geschick zukünftig erspart bleiben. Die neueste Kampagne von Alice Schwarzer zielt auf die Abschaffung des ältesten Gewerbes der Welt. Woher die "Ikone der Frauenbewegung" ihre Zahlen hat? Das bleibt das Geheimnis schwarzerscher Wahrheitsfindung und ist im Grunde auch gleichgültig. Denn es geht ihr nicht um den widerwärtigen Menschenhandel, in dem es eindeutig Opfer gibt, die beschützt, und Täter, die bestraft werden müssen. Es geht ihr ums sorgsam gepflegte Weltbild, wonach Männer Schweine und Frauen Opfer sind.
Dagegen gibt es nun einen Aufschrei besonderer Art: die im Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen organisierten Frauen protestieren gegen ihre Vereinnahmung durch die Berufsfeministin Schwarzer. Sie halten deren Kampagne für einen Akt der Bevormundung. "Man kann Menschen nicht gegen ihren Willen helfen", sagt Verbandssprecherin Undine de Rivière. Denn die Professionellen sehen sich nicht als Opfer. Männer, die sexuelle Dienstleistungen bezahlen (müssen), üben im Regelfall keine Macht aus.
Es mag sein, dass manche von ihnen Schweine sind – arme Schweine, etwa wie jene Kunden, "die einmal zahlen, zehn Mal wollen und dann zwei Mal können" (de Riviére über Flatrate-Freier). Aber eine freie Vereinbarung zweier Erwachsener über eine Dienstleistung ist keine Unterdrückung der Frau – es sei denn, man vertritt die Auffassung, Frauen seien mit ihrem Körper und ihrem Sex identisch. In paternalistischen Kulturen wird das so gesehen, weshalb man Frauen in den Ganzkörperschleier zwingt. Manch einer scheint das auch hierzulande für eine gute Idee zu halten.
Die neue Kampagne ist, was Schwarzers Kampagnen immer waren: Selbstinszenierung. Dass sie eine Ikone der Frauenbewegung sei, beruht auf einem Missverständnis. Eigentlich ist sie der beste Freund der Männer. Denen hat das Weltbild der Oberfeministin zunächst einen unschätzbaren Dienst getan: Sie dürfen Frauen als arme Hascherl betrachten, als Opfer, die beständig gefördert und beschützt werden müssen. Die überwiegend rein symbolischen Akte der Wiedergutmachung sind ein kleiner Preis für den geübten Frauenfreund, und das gendergerechte Parlieren tut nur einer winzigen Minderheit weh, die unter der Sprachverhunzung im öffentlichen Raum leidet.
In diesem Frauenbild ist kein Platz für Konkurrentinnen, die zu respektieren sind. Oder für Gegnerinnen, die man fürchten sollte. Denn fürchterlich kann frau sein, wenn sie sich den Opferbonus zunutze macht und den Spieß umdreht. Wer einen Mann des Sexismus oder der Vergewaltigung beschuldigt, ist mittlerweile in einer unschlagbaren Machtposition: So kann man Existenzen ruinieren.
Schwarzers Feminismus, demzufolge alle Männer potenzielle Vergewaltiger sind, ist männerverachtend, gewiss. Aber sie hat, wie ihre Biografin Bascha Mika sagt, "vor allem ein Problem auf der Welt: Frauen. In nahezu allen Konflikten und Krächen, die sie ausgefochten hat, standen Frauen auf der Gegenseite. Mit Männern hat sie sich kaum je persönlich angelegt."
In der Tat. Mit Frauen, die ihr die Gefolgschaft verweigern, geht sie gnadenlos ins Gericht. Das sind "Wellness-Feministinnen", die sich nur "für Karriere und Männer" interessierten. Andere wiederum sind, wenn sie ihr kritisch kommen, Erfüllungsgehilfinnen, die "den Jungs nach dem Maul reden" und ihre eigene "Vernuttung" betreiben.
Dass Frauen sich gegen solcherlei Anmaßungen der selbst ernannten "Ikone" selten wehren, liegt nicht nur an mangelndem Mut, sondern auch an fehlendem Masochismus: Schwarzers Gegenangriffe pflegen stets sexistisch zu sein und immer unter die Gürtellinie zu zielen. Wer ihr widerspricht, behauptet sie, handelt denunziatorisch und ist eine von Männern bestellte und bezahlte Agentin des Bösen.
Dass auch Alice Schwarzer von Männern bezahlt wird, ist hingegen kein Problem, steht sie doch so zweifelsfrei fürs Gute. Ihre komfortable Existenz im Kölner Bayenturm, wo sie über die Linie der "Emma" und über ein "Frauenarchiv" wacht, das jährlich weniger als 300 Besucher anzieht, verdankt sie Männern, darunter dem Mäzen Jan-Philipp Reemtsma, der sie mit Millionenbeträgen förderte. Auch so einer, der die Frauenbewegung mit Alice Schwarzer verwechselt hat.
Erst eine Frau, Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, hatte den Mut, den Landeszuschuss für ein Privatprojekt von recht geringem öffentlichen Interesse radikal zu kürzen. Dass ausgerechnet Kristina Schröder, die Familienministerin, dann mit Bundesgeldern aushalf, ist ein Sonderfall von weiblichem Masochismus. Schröder wurde von Alice Schwarzer einst in einem offenen Brief als "hoffnungslose(r) Fall. Schlicht ungeeignet" attackiert. Sie eigne sich höchstens als "Pressesprecherin der neuen, alten, so medienwirksam agierenden, rechtskonservativen Männerbünde und ihrer Sympathisanten".
Doch ausgerechnet die haben längst ihren Frieden mit Alice Schwarzer gemacht. Eine Krawallschachtel, die ihre Geschlechtsgenossinnen klein hält, ist entschieden einfacher zu handhaben als erwachsene Frauen, die keine Opfer sein wollen. Und das beantwortet schon die Frage, warum Alice Schwarzer "größer (ist) als der Feminismus in Deutschland". Dies überaus zweischneidige Kompliment von Harald Schmidt sagt vor allem eins: dass es der "Ikone des Feminismus" gelungen ist, die Frauenbewegung klein zu halten.
Dass ausgerechnet die "Dienstleisterinnen" des horizontalen Gewerbes den Opferbonus ablehnen, der ihnen angeboten wird, ist wahre Größe. Andere fühlen sich schon bei täppischen Männersprüchen als Opfer von Sexismus. Was lernen wir daraus? In Deutschland ist Feminismus zu einer weiblichen Problemzone geworden, die mit symbolischen Sprechakten glatt gebügelt werden soll. Mit der Wirklichkeit hat das alles nichts zu tun. Höchstens mit Alice Schwarzer.
Quelle: https://www.welt.de/print/die_welt/debatte/article122616641/Alles-Alice-oder-was.html