Das Verbot von Prostitution - Zwischen Freiheit und Zwang (Teil 2)

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Das Ende der Heuchelei – Deutschland hat ein neues Anti-Prostitutionsgesetz


Veröffentlicht am 28. Juni 2013 von Doña Carmen



In der Nacht von Donnerstag auf Freitag, den 28.06.2013, hat der Deutsche Bundestag in 2. und 3. Lesung dem am 4. Juni 2013 von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP vorgelegten „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Menschenhandels und Überwachung von Prostitutionsstätten“ verabschiedet. Die Umsetzung der prostitutionsfeindlichen EU-Richtlinie 2011/36/EU war der willkommene Anlass für eine massive Einschränkung des grundgesetzlich geschützten Rechts auf freie Berufsausübung in der Sexarbeit. Kernpunkt des neuen Gesetzes ist eine gewerberechtliche Reglementierung von Prostitution mit der Einstufung von Prostitutionsstätten als „überwachungsbedürftige Gewerbe“ nach § 38 Gewerbeordnung.


Öffentlich angepriesen und vermarktet wird das neue Gesetz als „gewerberechtliche Gleichbehandlung“ des Prostitutionsgewerbes und als „Verbesserung“ von Rahmenbedingungen der Sexarbeit in der Prostitution. Nichts von dem trifft zu.


Faktisch handelt es sich bei der nun beschlossenen gewerberechtlichen Reglementierung von Prostitution um einen massiven Eingriff in das auch Sexarbeiterinnen grundgesetzlich zustehende Recht auf ungehinderte Berufsausübung. Statt auf mehr Rechte für Sexarbeiter/innen in der Prostitution setzt man erneut und ohne sachlichen Grund auf mehr behördliche und polizeiliche Kontroll- Und Überwachungsbefugnisse gegenüber den Betroffenen.


Unter dem Vorwand der Umsetzung der EU-Richtlinie 2011/36/EU und einer wirksameren Bekämpfung des so genannten „Menschenhandels“ geht es in Wirklichkeit um die Abwicklung des 2002 verabschiedeten Prostitutionsgesetzes. Dieses Gesetz stand – bei aller notwendigen Kritik – für eine Ausgestaltung der Legalisierung von Prostitution. Nach gerade mal 11 Jahren und einer maßlosen medialen Hetze gegen die legalisierte Sexarbeit in der Prostitution ist das Prostitutionsgesetz von 2002 nunmehr substantiell ausgehöhlt. Es erweist sich als Betriebsunfall in der Geschichte deutscher Prostitutionspolitik.


Es ist auch das Ende der Heuchelei: Das Versprechen auf eine den legitimen Interessen der Sexarbeiter/innen entsprechende Legalisierung von Prostitution ist vom Parlament mit dem jüngsten Gesetz gebrochen worden. Im Unterschied zum Prostitutionsgesetz von 2002, das vor allem als Schaufenstergesetz konzipiert war und fortan als Feigenblatt beibehalten wird, wird die zukünftig erfolgende gewerberechtliche Reglementierung mit der Einstufung von Prostitutionsstätten als „überwachungsbedürftige Gewerbe“ nach § 38 Gewerbeordnung eine außerordentlich praktische (negative) Wirkung entfalten: Die Ausweitung behördlicher und polizeilicher Kontrollbefugnisse wird sich als Mittel einer politisch gewollten maximalen Eindämmung von Prostitution erweisen.


Daher auch die unverkennbar tiefe Genugtuung bei Prostitutionsgegnern jeglicher Couleur angesichts der Einschränkung, die die Berufsausübung von Sexarbeiter/innen in der Prostitution mit dem neuen Gesetz erfahren wird.


Entgegen der offiziellen Sprachregelung einer mit dem Gesetz geschaffenen „gewerberechtlichen Gleichstellung“ von Prostitution handelt es sich in Wirklichkeit um eine gewerberechtlich kaschierte Fortsetzung und Ausweitung der Diskriminierung von Sexarbeit in der Prostitution.


Für diese Sichtweise sprechen nachfolgend benannte sieben Punkte:


(1)
Keine durch Tatsachen sachlich ausgewiesene Gesetzesbegründung:


Für die mit dem Gesetz erfolgende Einstufung von Prostitutionsstätten als „überwachungsbedürftige Gewerbe“ gibt es keine Begründung in der Sache. In der Gesetzesbegründung zur Ausweitung nunmehr gewerberechtlich exekutierter Kontroll- und Überwachungsbefugnisse heißt es lediglich: „Der Betrieb von Prostitutionsstätten ist aus kriminalpolitischer Sicht sensibel. Zur Vorbeugung krimineller Begleiterscheinungen wie Menschenhandel, Zwangsprostitution und sexuelle Ausbeutung ist eine präventive Zuverlässigkeitsprüfung des Gewerbetreibenden sinnvoll.“ (Drucksache 17/13706, S. 9)


Von real gestiegenen „kriminellen Begleiterscheinungen“ der Prostitution, die eine solche Verschärfung des Umgangs mit Prostitution rechtfertigen würden, kann aber nicht die Rede sein. Denn ausweislich der polizeilichen Kriminalstatistik sinkt die so genannte „Begleitkriminalität“ seit Jahren. Im Jahr 2002, als das damalige Prostitutionsgesetz in Kraft trat, wies die polizeiliche Statistik 776 mutmaßliche Opfer der „Ausbeutung von Prostitution“ (§ 180a StGB) auf. Zehn Jahre später, im Jahr 2012, waren es nur noch 58 mutmaßliche Opfer! Im Jahre 2002 wies die polizeiliche Kriminalstatistik 793 mutmaßliche Opfer des Delikts „Zuhälterei“ (§ 181a StGB) auf. Im Jahre 2012 waren es nur noch 267 mutmaßliche Opfer bei diesem Straftatbestand. Im Jahre 2002 wurden 988 mutmaßliche Opfer des Delikts „Menschenhandel“ gezählt. 2012 waren es nur noch 642 mutmaßliche Opfer von „Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung“. Im Jahr 2011 wurde nur eine einzige Person als Täter im Falle von „Ausbeutung von Prostituierten“ verurteilt, nur 32 Täter im Falle von „Zuhälterei“ und 117 Täter im Falle von „Menschenhandel“.


Die tatsächliche Ausweitung, die die nach wie vor massiven und umfangreichen Razzien und Routinekontrollen im Prostitutionsgewerbe aufweisen, sowie die Verschärfung der Menschenhandelsgesetzgebung (zuletzt 2005) widersprechen der Annahme, dass eine unzureichende Überwachung und zu laxe Strafgesetze Ursache des Rückgangs der Kriminalitätsentwicklung seien könnte.
Wenn nunmehr trotz dieser rückläufigen Kriminalitätsentwicklung der rechtliche Umgang mit Prostitution durch eine Ausweitung von Kontrolle und Überwachung verschärft wird, so liegen dem nachweislich keine sachlich begründeten Erwägungen, sondern das bloße Interesse der Prostitutionsgegnerschaft in Verbindung mit Migrationsabwehr zugrunde.


Mit dem Vorwand „Prävention“ lassen sich – wie hier zu sehen – sämtliche Bürgerrechte trefflich aushebeln, nicht nur in der Prostitution. In der Tat ein Armutszeugnis, dass sich die offenen und verkappten Befürworter des neuen Anti-Prostitutionsgesetzes damit selbst ausstellen.


(2)
Gewerberechtliche Ungleichbehandlung durch „Zuverlässigkeitsprüfung“ in Kombination mit diskriminierenden strafrechtlichen Sonderbestimmungen zu Prostitution


Die Aufnahme von Prostitutionsstätten in den Katalog „überwachungspflichtiger Gewerbe nach § 38 Absatz 1 GewO hat „eine automatische Überprüfung der Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden unverzüglich nach Erstattung der Gewerbeanmeldung oder Gewerbeummeldung“ zur Folge. Anders als bei der großen Masse „anzeigepflichtiger Gewerbe“ (nach § 14 GewO), wo diese „Zuverlässigkeitsprüfung“ nicht vorgesehen ist, handelt es sich hierbei um einen Generalverdacht. Seit 2002 hat der Bund-Länder-Ausschuss Gewerberecht für Prostitutionsbetriebe den Status als „anzeigepflichtiges Gewerbe“ empfohlen. Was nunmehr den Generalverdacht des „überwachungsbedürftigen Gewerbes“ begründen soll, bleibt im Dunkeln.
Die Einstufung als überwachungspflichtiges Gewerbe entspricht nicht nur einem sachlich unbegründeten Generalverdacht, sondern impliziert darüber hinaus eine
handfeste rechtliche Ungleichbehandlung des Prostitutionsgewerbes gegenüber anderen Gewerbezweigen. Denn im Unterschied zu anderen Gewerben unterliegt das Prostitutionsgewerbe zusätzlich einer umfangreichen, speziell auf Prostitution zielenden straf- und ordnungsrechtlichen Reglementierung. Dazu gehören:


(1) § 180a StGB Ausbeutung von Prostituierten
(2) § 181a StGB Zuhälterei + §181b Führungsaufsicht ( bezogen auf § 181a)
(3) § 184e StGB Ausübung der verbotenen Prostitution
(4) § 184f StGB Jugendgefährdende Prostitution
(5) § 232 StGB Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung
(6) § 233a StGB Förderung des Menschenhandels (bezogen auf § 232)
(7) Art. 297 EGStGB Verbot der Prostitution / Sperrgebietsverordnungen
(8) § 119 / §120 OWiG Grob anstößige und belästigende Handlungen; Verbotene Ausübung der Prostitution; Werbung für Prostitution


Die Einbeziehung von Personen in entsprechende strafrechtliche Ermittlungsverfahren wird sich leicht instrumentalisieren lassen, um Personen im Prostitutionsgewerbe die erforderliche Zuverlässigkeit abzusprechen. Gegenüber anderen Gewerben liegt damit eine glasklare Ungleichbehandlung vor. Von einer gewerberechtlichen Gleichstellung von Prostitutionsstätten mit anderen Gewerbebetrieben kann mithin keine Rede sein.


(3)
Quantitative und qualitative Ausweitung behördlicher Kontroll- und Überwachungsbefugnisse durch „Auskunft und Nachschau“:


Mit der Einstufung als „überwachungsbedürftiges Gewerbe nach § 38 GewO geht einher, dass „den zuständigen Behörden… zur Überwachung des Betriebs zudem die Auskunfts- und Nachschaurechte des § 29 GewO zur Verfügung“ stehen.
Die „zuständigen Behörden“ bzw. deren „Beauftragte“ sind ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss befugt, jederzeitige, anlasslose „Prüfungen und Besichtigungen“ vorzunehmen. Es ist zu erwarten, dass die Kontrollpraxis gegenüber dem Prostitutionsgewerbe noch mehr ausgeweitet wird, als dies bisher schon der Fall ist. Jenseits der ohnehin üblichen Großrazzien im Prostitutionsgewerbe werden dort gegenwärtig bei rund 11.500 so genannten „Routinekontrollen“ pro Jahr ca. 44.000 Personen überprüft. Die zu erwartende Ausweitung dieser Praxis bedeutet eine qualitative Steigerung hinsichtlich der Überwachung des Sexualverhaltens erwachsener Menschen. Denn auch die Kunden der Sexarbeiter/innen werden dieser Überwachungspraxis unterworfen.


Die Überwachung von Gewerbebetrieben auf die Einhaltung der für sie gültigen Rechtsvorschriften obliegt in Berlin bereits einem großen Teil dem Gewerbeaußendienst der Kriminalpolizei (GAD). Es ist das erklärte Ziel des BKA sowie der Innenminister der Länder, dass „Auskunft und Nachschau“ im Falle des Prostitutionsgewerbes – anders als bei sonstigen Gewerben – als polizeiliche Aufgabe definiert wird. Dies würde den Trend hin zu zeitgleichen, überfallartigen und bundeslandübergreifenden Polizeirazzien weiter befördern.


Der Hinweis in der Gesetzesbegründung: „Der Betrieb von Prostitutionsstätten ist aus kriminalpolitischer Sicht sensibel“ (S. 9), hier ginge es um die gewerbepolizeiliche „Vorbeugung krimineller Begleiterscheinungen wie Menschenhandel, Zwangsprostitution und sexuelle Ausbeutung“ (Drucksache 17/13706, S. 9) ist mehr als nur die übliche Stigmatisierung des Prostitutionsgewerbes als grundsätzlich behaftet mit der so genannten „Begleitkriminalität“. Diese Aussagen weisen in die Richtung, im Unterschied zu andern Gewerbearten die Polizei mit der gewerberechtlichen Überwachung zu betrauen. Darauf deutet auch die Verquickung der strafrechtlichen Problematik einer Bekämpfung des so genannten „Menschenhandels“ mit Fragen der gewerberechtlichen Reglementierung von Prostitution hin. Hier erfolgt in unzulässiger Weise ein überwachungsstaatlich motivierter Missbrauch des Gewerberechts für Ziele, die mit dieser Rechtsmaterie nichts zu tun haben und ihr fremd sind.


(4)
Nahezu totale Kontrolle des Prostitutionsgewerbes durch einen unzureichend klar bestimmten und überdehnten Begriff „Prostitutionsstätte“


In der Gesetzesbegründung heißt es: „Als Prostitutionsstätte sind dabei insbesondere Bordelle, Laufhäuser, bordellartige Betriebe und andere Betriebe mit Bezug auf gewerbsmäßige sexuelle Dienstleistungen anzusehen, die nach außen als Prostitutionsstätten erkennbar sind und als solche wahrgenommen werden. Rein private Räumlichkeiten fallen somit nicht darunter, weil sie einer wirtschaftsordnungsrechtlichen Überprüfung nicht zugänglich sind. Dies gilt auch für die Anmietung einer Wohnung zum Zweck der Ausübung der gewerbsmäßigen Prostitution.“ (Drucksache 17/13706, S. 9)


Mit dem subjektiven Kriterium, dass Prostitutionsstätten „Betriebe mit Bezug auf sexuelle Dienstleistungen“ sind, die auch „als solche wahrgenommen werden“, fällt jedes von zwei oder drei Frauen angemietete Wohnungsbordell, dass im Internet inseriert, unter die Kategorie der gewerberechtlichen Überwachungsbedürftigkeit samt „Zuverlässigkeitsprüfung“ (Führungszeugnis) und Einhaltung von Auflagen. Der Charakter „rein privater Räumlichkeiten“, die nicht unter die gewerberechtliche Überwachung fallen, dürfte nur für den Spezialfall gelten, dass eine Frau in ihrer eigenen Wohnung der Prostitution nachgeht. Sobald sie mit anderen Frauen zusammenarbeitet, die in der Wohnung der Prostitution nachgehen, dort aber nicht gemeldet sind und dort nicht tatsächlich wohnen, dürfte der „rein private“ Charakter der Räumlichkeiten schnell in Abrede gestellt werden.
Die Ausweitung der Überwachung in Form von „Auskunft und Nachschau“ dürfte sich tendenziell auf alle Räumlichkeiten erstrecken, in denen mehr als zwei Frauen der Prostitution nachgehen. Genau das war im Übrigen auch die Zielvorgabe der Innenministerkonferenz von 2010.


(5)
Schutz der Gesellschaft vor Prostitution mit „Auflagen“ und mittels unbestimmter Rechtsbegriffe


Auf Grundlage des neuen Anti-Prostitutionsgesetzes erfolgt per gewerberechtlicher Reglementierung eine Ausweitung diskriminierender Sonderbestimmungen gegenüber Prostitution. Wieder einmal soll die Gesellschaft vor „Belästigungen“ durch Prostitution geschützt werden – so die stigmatisierende Botschaft. So heißt es im Gesetzentwurf: „Darüber hinaus kann der Gewerbebetrieb von Auflagen zum Schutz der Allgemeinheit, der Kunden, der Prostituierten oder der Bewohner des Betriebsgrundstücks oder der Nachbargrundstücke vor Gefahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen abhängig gemacht werden.“ (S. 1)


Lokalen Gewerbebehörden wird mit diesen in der Tradition und Logik klassischer Sperrgebietsverordnungen stehender Zielvorgaben ein weites Betätigungsfeld hinsichtlich der Eindämmung von Prostitution eingeräumt. Man darf sicher sein, dass die „zuständigen Behörden“ diesen ihnen zugestandenen Spielraum gewohnt phantasievoll ausschöpfen werden. Der Weg wäre frei für eine bundesweite Kondompflicht zum Schutz der Kunden oder der Prostituierten – je nach Lesart.


(6)
Weg frei für eine behördliche Registrierung und ein ständig aktualisiertes Bewegungsprofil von Sexarbeiter/innen


Sind Prostitutionsstätten als „überwachungsbedürftige Gewerbe“ nach § 38 Absatz 1 GewO eingestuft, so gilt für sie auch der Absatz 3 dieses Paragrafen: „Die Landesregierungen können durch Rechtsverordnung für die in Absatz 1 genannten Gewerbezweige bestimmen, in welcher Weise die Gewerbetreibenden ihre Bücher zu führen und dabei Daten über einzelne Geschäftszweige, Geschäftspartner, Kunden und betroffene Dritte aufzuzeichnen haben.“


Damit ist die behördliche Registrierung der in „überwachungsbedürftigen Prostitutionsstätten“ tätigen Sexarbeiter/innen vorprogrammiert. Da eine solche Registrierung in jeder der nunmehr als „überwachungsbedürftig“ klassifizierten Prostitutionsstätten erfolgt, ergibt sich auf Grundlage der Auswertung der dabei anfallenden Daten ein komplettes Bewegungsprofil und damit die Möglichkeit einer Totalüberwachung der Berufstätigkeit von Sexarbeiter/innen.


Die verschärfte Überwachung betrifft also nicht nur Betreiber/innen von Prostitutionsstätten, sondern wird absehbar auch auf die Sexarbeiter/innen in Gänze durchschlagen.


(7)
Noch weniger Rechtssicherheit für Sexarbeiter/innen


Durch die Tatsache, dass inhaltlich im Gesetz nicht näher bestimmte „Auflagen“ von „zuständigen Behörden“ definiert werden können, sowie durch die Tatsache, dass die Landesregierungen durch Rechtsverordnungen festlegen können, wie Gewerbetreibende zukünftig ihre Bücher zu führen und dabei Daten aufzuzeichnen haben, müssen die sich durch Mobilität auszeichnenden Sexarbeiter/innen auf einen von Bundesland zu Bundesland unterschiedlichen Flickenteppich sie betreffender Bestimmungen einstellen. Während der Kontrollrahmen im Zuge der gewerberechtlichen Reglementierung bundesweit vereinheitlicht wird, werden sich die rechtlichen Bestimmungen, denen die Sexarbeiter/innen sich zu unterwerfen haben, als unüberschaubares Gewirr unterschiedlichster Auflagen und Vorschriften erweisen. Die Rechtssicherheit, auf die auch Sexarbeiter/innen in der Prostitution Anspruch haben, wird auf der Strecke bleiben. Ein probates Mittel der Abschreckung, um den Einstieg in die Prostitution zu erschweren.


Zwischenbilanz


Laut Gesetzestext soll die Einstufung von Prostitutionsstätten als „überwachungsbedürftige Gewerbe“ eine „Verbesserung der Rahmenbedingungen für in der Prostitution tätige Personen“ zur Folge haben. (S. 1) Das ist blanker Hohn!


Dass im Übrigen ausgerechnet mehr „Überwachung“ das geeignete Mittel sein soll, die Rahmenbedingungen einer Tätigkeit zu verbessern (von einer Verbesserung der ‚Arbeitsbedingungen‘ ist bezeichnenderweise gar nicht mehr die Rede!), entspricht der Logik eines autoritären Überwachungsstaates. Nicht anders führt sich dieser Staat gegenüber dem Prostitutionsgewerbe auf.


Es hätte der bundesrepublikanischen Gesellschaft gut zu Gesicht gestanden, in Zusammenarbeit mit Sexworker-Organisationen die Gleichstellung von Prostitution und anderen Berufen beherzt in Angriff zu nehmen. Doch diese Gesellschaft und ihre politischen Repräsentanten sind ganz offenkundig weder willens noch in der Lage, die dazu notwendigen, auf der Hand liegenden und dem bürgerlichen Gleichheitsgedanken entsprechenden Schritte einzuleiten und zu gewährleisten:




  1. Sittenwidrigkeit: Explizite und definitive Abschaffung des Verdikts der Sittenwidrigkeit von Prostitution im BGB!




  2. Rechtliche Diskriminierung: Abschaffung aller auf Prostitution bezogenen diskriminierenden rechtlichen Sonderbestimmungen!




  3. Behördliche Diskriminierung: Einstellung aller Formen diskriminierender behördlicher Sonderbehandlung von Prostitution!




  4. Freiberuflichkeit: Anerkennung der Freiberuflichkeit selbständig ausgeübter Prostitutionstätigkeit im Gewerbe-, Steuer- und Baurecht! Der Zusammen-schluss freiberuflicher Sexarbeiter/innen ist keine gewerberechtlich regulierte Prostitutionsstätte!




  5. Gewerberechtliche Anzeigepflicht: Anerkennung von Prostitutionsstätten als anzeigepflichtige Gewerbe“ nach § 14 Gewerbeordnung!




Der Weg einer konsequenten Legalisierung von Prostitution, der nach den deprimierenden Erfahrungen mit dem in vieler Hinsicht untauglichen Prostitutionsgesetz von 2002 hätte eingeschlagen werden müssen, ist mit dem jetzt verabschiedeten Anti-Prostitutionsgesetz – zur Freude aller Prostitutionsgegner – fürs Erste verbaut.


Die Feigheit steht den politischen Repräsentanten sämtlicher etablierter Parteien auf die Stirn geschrieben. Die patriachale bürgerliche Gesellschaft und ihre politischen Parteien erweisen sich außerstande, die in der Prostitution praktizierte Trennung von Sexualität und Liebe als legitimen Ausdruck sexueller Selbstbestimmung zu respektieren.


Stattdessen belügen und betrügen sie sich und andere mit der vermeintlichen Notwendigkeit immer weiter gehender rechtlicher Verschärfungen gegenüber Prostitution. Demnächst werden Regelungen zur Bestrafung von Freiern bei leichtfertiger Inanspruchnahme der Dienste so genannter „Zwangsprostituierter“ aus der Tasche gezogen: „Ein fertiger Gesetzentwurf liegt in der Schublade.“ (MdB Ute Granold (CDU/CSU), 243. Sitzung Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, 6.6.2013, S. 30796) Wobei „Zwang“ völlig abweichend von dem definiert wird, wie die Betroffenen selbst es sehen. Denn jedes Einverständnis der Betroffenen zu Umständen ihrer Migration oder ihrer Arbeitsaufnahme gilt grundsätzlich als „unerheblich“.


Die Ideologie des „Menschenhandels“: Die Instrumentalisierung von „Opferschutz“ gegen Prostitution


Die Verabschiedung des „Gesetzes zur Bekämpfung des Menschenhandels und Überwachung von Prostitutionsstätten“ nimmt die Aufforderung zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2011/36/EU vom 5. April 2011 als Anlass und Vorwand für eine Verschärfung der bundesdeutschen Prostitutionspolitik. Das passt. Denn die Richtlinie selbst ist unverkennbar eine Anti-Prostitutions- sowie eine Anti-Migrations-Richtlinie:




  • Mit der Ausdehnung des Begriffs „Menschenhandel“ wird eine umfassende Kriminalisierung zukünftiger Armutsmigration vorweggenommen.






  • „Ausbeutung“ in diesem Kontext umfasst „mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer“, sodass tendenziell der Prostitutionskunde, der die Prostitution anderer ausnutzt, ein krimineller Ausbeuter ist.






  • Der „Nachfrage“, die „jegliche Form von Ausbeutung begünstigt“, ist „entgegenzuwirken“. Das ist eine von schwedischen Verhältnissen inspirierte, kaum verklausulierte Aufforderung zur staatlichen Eindämmung von Prostitution.






  • Schließlich soll die Strafverfolgung bei Menschenhandel zukünftig nicht mehr von einer Anzeige oder der Anklage des Opfers abhängig sein und Strafverfahren auch dann geführt werden, wenn ein Opfer seine Aussage widerrufen hat. Damit wird die Linie, dass die Aussage der zu Opfern deklarierten Frauen unerheblich ist, konsequent fortgeführt.




Nur einer Öffentlichkeit, die den Inhalt von EU-Vorgaben ohnehin nicht mehr zur Kenntnis nimmt, geschweige denn sich kritisch damit befasst, kann diese Politik von interessierter Seite als „Opferschutz“ verkauft werden.


Seit Jahrzehnten dient die von Medien und Politikern gepflegte „Opferschutz“-Rhetorik nicht etwa dazu, tatsächliche Opfer von Zwang und Gewalt z. B. durch ein uneingeschränktes Bleiberecht zu schützen, sondern sie wird instrumentalisiert, um legitime Rechte von Sexarbeiter/innen – die als Begünstigung von „Menschenhandel“ denunziert werden – in die Schranken zu weisen.


In einer dem tatsächlichen Ausmaß und der tatsächlichen Problematik völlig unangemessenen Weise wird „Opferschutz“ und die Bekämpfung des so genannten „Menschenhandels“ immer dann in den Vordergrund der öffentlichen Debatte gerückt, wenn im Hintergrund wieder einmal die Rechte von Sexarbeiter/innen beschnitten und das System der Diskriminierung von Prostitution modernisiert und erweitert werden soll.


Man sollte – auch wenn es nicht ins eigene Weltbild passt – vielleicht mal zur Kenntnis nehmen, dass „ausweislich des Bundeslagebildes Menschenhandel 2011 des BKA … (nur) 51 der 640 polizeilich registrierten Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung Drittstaatsangehörige (waren), die sich illegal in Deutschland aufhielten.“ (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Volker Beck und der Fraktion Bündnis 90 /Die Grünen, 22. Febr. 2013, S. 11)


Nur für diese absolut marginale Gruppe von Menschen hätte die Forderung nach einem uneingeschränkten Bleiberecht möglicherweise Bedeutung. Aber deren (vorenthaltene) Rechte werden in den Vordergrund gespielt und lösen Empörung aus, während der gleichzeitige Angriff auf die rechtlichen Belange von 200.000 Sexarbeiter/innen in der Prostitution interessiert in den Hintergrund gespielt und als Petitesse behandelt wird. Wem dient das wohl?


Die ganz große überparteiliche Koalition gegen Prostitution


Wer jenseits der aktuellen Regierungsparteien CDU/CSU und FDP einen Blick auf die „Oppositions“-Parteien wirft, wird jeglicher Illusion beraubt, hier wären Politiker mit Sinn für die Rechte von Sexarbeiter/innen am Werk. Die in der SPD organisierten Sozialdemokraten würden es – wenn sie nur könnten – noch schärfer treiben als die CDU/FDP. Das beweist nicht zuletzt der SPD-Gesetzentwurf zu Prostitutionsstätten in Bremen.


Man muss dem ansonsten stets unsäglich argumentierenden Prostitutionsgegner MdB Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) ausnahmsweise zustimmen, wenn er der SPD „eine Reglementierungswut ohne Ende“ attestiert. „Keinem CSU-Politiker würde man so etwas zutrauen“, so Uhl mit Blick auf die Bremer SPD. Das sehen wir freilich anders. Aber zutreffend ist: Die SPD ist längst „an der Spitze der Bewegung der Reglementierung“. (243. Sitzung Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, 6.6.2013, S. 30800)


Besonders beschämend aber ist die Rolle der Partei ‚Bündnis 90 / Die Grünen‘.
Über Jahre hinweg hat sie – stets sehr unbestimmt – von einer „gewerberechtlichen Regulierung“, von einer „gewerberechtlichen Anerkennung“ der Prostitution gesprochen. Viele Fachberatungsstellen, die Prostituierte betreuen, haben es nachgeplappert. Nun lässt Bündnis 90 / Die Grünen die Katze aus dem Sack: „Gewerberechtliche Anerkennung“ bedeutet für sie die Einstufung von Prostitutionsstätten als „überwachungsbedürftige Gewerbe“ gemäß § 38 GewO mit all den daraus sich ergebenden diskriminierenden Konsequenzen!


Die grüne Bundestagsfraktion hat mit Datum vom 21. Juni 2013 einen Änderungsantrag (Ausschussdrucksache 17(6)285) zum CDU/CSU/FDP-Gesetzesantrag vorgelegt, der sich darauf beschränkt, unter sehr restriktiv formulierten Voraussetzungen Opfern von Menschenhandel ein Aufenthaltsrecht „unabhängig von der möglichen Beteiligung in einem Strafverfahren“ zuzubilligen.


Kernpunkt der Angelegenheit: Die Änderung soll lediglich als „Artikel 4“ den bisherigen drei Gesetzes-Artikeln des CDU/FDP-Entwurfs hinzugefügt werden. Mit anderen Worten: Dem gesamten Anti-Prostitutionsgesetz der Bundesregierung wird damit seitens Bündnis 90/Die Grünen widerspruchslos zugestimmt, wenn es nur um einen weiteren Opferschutz-Passus ergänzt wird.


Deutlicher konnte die Partei Bündnis 90 / Die Grünen nicht zum Ausdruck bringen, dass ihr die elementaren Rechte von Sexarbeiter/innen nicht mehr bedeuten als eine bloß taktische Verhandlungsmasse im Deal mit der politischen Konkurrenz.


Wer – wie Bündnis 90 / Die Grünen – sein Einverständnis signalisiert,




  • Prostitution grundsätzlich als mit „Begleitkriminalität“ behaftete Gewerbeform zu stigmatisieren;






  • das Prostitutionsgewerbe mit Generalverdacht zu belegen und sie verschärfter behördlich-polizeilicher Kontrolle und Überwachung zu unterwerfen;






  • durch Akzeptanz der hergebrachten und diskriminierenden strafrechtlichen Sonderbestimmungen gegen Prostitution nunmehr eine gewerberechtliche Ungleichbehandlung der Betreiber/innen von Prostitutionsstätten gegenüber anderen Gewerben billigend in Kauf zu nehmen;






  • mit inhaltlich undefinierten Auflagen und länderspezifischen Rechtsverordnungen die Rechtsunsicherheit von Sexarbeiter/innen in der Prostitution noch mehr zu erweitern;






  • Praktiken der Registrierung von Sexarbeiter/innen, ihr Zwangsouting und die Offenlegung ihres beruflichen Bewegungsprofils hinzunehmen,




der hat jedes Recht verwirkt, den „Schutz von Prostituierten“ als Legitimation für sein politisches Handeln in Anspruch zu nehmen.


Denn es handelt sich um nichts anderes als eine gewerberechtliche Festschreibung der Diskriminierung eines Berufszweigs, dem eine rechtliche Gleichstellung systematisch verweigert wird. Mit grünem Einverständnis sollen Sexarbeiter/innen in der Prostitution weiterhin eine demütigende Existenz als rechtlos gestellte Bürger/innen zweiter Klasse fristen.


Es gehört zum „Ende der Heuchelei“, dass die Vertreter von Bündnis 90 / Die Grünen damit klar machen, auf welcher Seite sie stehen.


Durch die am 27. Juni 2013 von Bündnis 90 / Die Grünen in die Bundestagdebatte eingebrachten zusätzlichen Anträge zur „Genehmigungspflicht von Prostitutionsstätten“ sowie zur „Freier-Bestrafung“ hat diese Partei auf Kosten der Sexarbeiter/innen den Wettbewerb um die schärfsten Anti-Prostitutions-Regelungen populistisch befeuert und auf den letzten Metern versucht, die CDU/CSU/FDP-Regelungen noch rechts zu überholen.
Es ist damit zu rechnen, dass das von CDU/CSU und FDP beschlossene Gesetz entweder über den Bundesrat oder über eine zukünftige schwarz-grüne Bundesregierung in diesem Sinne nachgebessert werden wird. Denn die Genehmigungspflicht ist eine originäre Forderung des Bundeskriminalamts (BKA), die Freier-Bestrafung eine originäre Forderung von CDU/CSU. Die Verlierer wären allemal die Frauen in der Prostitution.


Ausblick


Es ist nicht schwer zu prognostizieren: Auch mit dem jetzigen Anti-Prostitutionsgesetz werden nicht mehr Opfer von „Menschenhandel“ identifiziert. Aber Prostitutionsstätten werden in die Knie gezwungen und geschlossen, Prostitution wird eingedämmt werden.


Nicht nur die jetzige Bundesregierung, sondern sämtliche Parteien, die sich an der Mitwirkung und an der Debatte um das jetzt verabschiedete Anti-Prostitutionsgesetz die Hände schmutzig gemacht haben, werden sich die Sexarbeiter/innen über kurz oder lang zu ihren Gegner/innen machen.


Ein starkes Argument mehr für eine selbständige, parteipolitisch unabhängige und kämpferische Organisation von Sexarbeiter/innen hierzulande.


Doña Carmen e.V. wird den Prozess der Organisierung der Sexarbeiter/innen auch weiterhin unterstützen, um das beschlossene Anti-Prostitutionsgesetz samt allen sonstigen, die Prostitution diskriminierenden Rechtsbestimmungen zu Fall zu bringen.


Quelle: https://www.donacarmen.de/erklarung-von-dona-carmen-e-v-aus-anlass-der-verabschiedung-des-gesetzes-zur-bekampfung-des-menschenhandels-und-uberwachung-von-prostitutionsstatten/#more-408





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Offener Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags


Veröffentlicht am 30. Mai 2016 von Doña Carmen



Sehr geehrte Damen und Herren,


am 2. Juni 2016 findet im Deutschen Bundestag die erste Lesung des so genannten „Prostituiertenschutzgesetzes“ statt.


Als Organisation, die seit nahezu zwei Jahrzehnten mit Frauen in der Prostitution, darunter viele Prostitutionsmigrantinnen, zu tun hat, nehmen wir diese Gelegenheit zum Anlass, uns direkt an Sie zu wenden.


Sie haben als gewähltes Mitglied des Bundestags die Möglichkeit, Ihr Missfallen gegen den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zu bekunden und ihm die Zustimmung zu verweigern. Darin möchten wir Sie bestärken. Wir möchten Sie an Ihre Verantwortung erinnern – wohl wissend, dass Sexarbeiter/innen eine gesellschaftliche Minderheit sind, deren Schicksal Sie persönlich nicht unbedingt interessieren muss.


Doch da der Umgang mit Minderheiten – wie Ihnen bekannt sein dürfte – schon immer ein untrüglicher Gradmesser für das faktische Gelten von Freiheitsrechten ist, sollte es Ihnen nicht gleichgültig sein, was das von der Großen Koalition geplante „Prostituiertenschutzgesetz“ mit den Betroffenen macht.


Der von der CDU/CSU/SPD-Bundesregierung vorgelegte „Entwurf eines Gesetzes zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen“ (Drucksache 18/8556 vom 25.05.2016) unterstellt in fragwürdiger Weise als Leitbild eine nur in Ausnahmefällen selbstbestimmt handelnde Sexarbeiterin. Sexarbeit gilt in ihrer Mehrheit als fremdbestimmt. Vor diesem Hintergrund soll die Schaffung zahlloser Kontrollanlässe, wie es der Gesetzentwurf vorsieht, als „Schutz“ der Betroffenen und als Gewähr für ein selbstbestimmtes Handeln erscheinen.


Die Grundannahme einer weitgehend fremdbestimmt tätigen Sexarbeiterin ist aber durch keine sozialwissenschaftliche, empirisch fundierte Studie gestützt. Es handelt sich daher um eine wohlfeile Unterstellung mit dem Ziel, eine Politik zu legitimieren, die eine gesamte Berufsgruppe unter Ausnahmerecht stellt. Und davon macht der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung reichlich Gebrauch.



Das in Kürze zur Abstimmung stehende „Prostituiertenschutzgesetz“





  • – beinhaltet eine 50-fache rechtliche Ungleichbehandlung von Prostitution im Vergleich zu anderen selbständig ausgeübten Gewerben (vgl. https://www.donacarmen.de/wp-content/uploads/Rechtliche-Ungleichbehandlung-des-Prostitutionsgewerbes.pdf);




  • – basiert auf kalkuliertem Rechtsbruch zum Zwecke der Eindämmung von Prostitution. Beispielhaft sei an dieser Stelle nur darauf verwiesen, dass die geplante Meldepflicht für Sexarbeiter/innen gegen Art. 8 Abs. 4 der EU-Richtlinie 95/46/EG verstößt, die EU-Mitgliedstaaten die Verarbeitung personenbezogener Daten u.a. zum Sexualleben untersagt. Verwiesen sei des Weiteren darauf, dass die Pflicht zum persönlichen Erscheinen im Zuge der geplanten Anmeldung bzw. Verlängerung der Anmeldung zur Sexarbeit gegen Art. 8 Abs. 1 der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie verstößt (elektronische Abwicklung der Aufnahme oder die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit).




  • – zwingt Sexarbeiter/innen knapp 40 Verpflichtungen auf, deren Einhaltung die grundrechtlich gewährte Berufsfreiheit zur Karikatur werden lässt und die Betroffenen in die Illegalität drängen wird (vgl. https://www.donacarmen.de/wp-content/uploads/Pflichten-von-SexarbeiterInnen-und-BordellbetreiberInnen.pdf);




  • – etabliert mit jeder dieser Verpflichtungen entsprechende Kontroll- und Sanktionsanlässe, bestens geeignet, die Betroffenen nach Bedarf behördlichen Schikanen auszusetzen; hinzu kommen etliche Betreiber-Pflichten, da bereits jede ab zwei Sexarbeiter/innen genutzte Wohnung als betreibergeführter Gewerbebetrieb eingestuft wird;




  • – unterwirft Sexarbeiter/innen fortan auf Schritt und Tritt einer von Staat und Bordellbetreiber/innen ausgeübten Überwachung;




  • – ebnet einer auf Denunziation gegründeten Verdachtskultur den Weg, wenn Wohnungen zwecks Kontrolle vermuteter Prostitutionsausübung von Polizei- und Ordnungsbehörden jederzeit anlasslos betreten werden können.





Auf nationalem Maßstab wird damit ein polizeilich betreutes Anbieten sexueller Dienstleistungen zur Norm. Wie zu Zeiten des deutschen Kaiserreichs!


Ist dieser Umgang mit Sexualität mündiger erwachsener Bürger das, was Ihnen als Mitglied des Deutschen Bundestags als Vision einer zukünftigen Gesellschaft vorschwebt?


Der vorliegende Gesetzentwurf der Großen Koalition ebnet den Weg für eine gesundheitliche Zwangsberatung, für eine behördliche Zwangsregistrierung betroffener Frauen wie zuletzt 1939 unter den Nazis, für ein Zwangsouting der Betroffenen, für eine erniedrigende, in das Intimleben erwachsener Menschen eingreifende Zwangskondomisierung. Wann hat es je einen solch vielfältigen, staatlich geschaffenen Zwang in der Prostitution gegeben?


Seien Sie versichert: Sämtliche Organisationen der Sexarbeiter/innen und sämtliche Organisationen, die auf Erfahrungen im Umgang mit Sexarbeiter/innen verweisen können, lehnen den vorgelegten Gesetzentwurf entschieden ab. Denn es steht ihm auf die Stirn geschrieben: Es ist nichts weiter als ein Anti-Prostitutions-Gesetz. Sie werden nicht eine einzige Sexarbeiter/in finden, die diesem repressiven Gesetzeswerk etwas abgewinnen kann.


Glauben Sie als Bundestagsabgeordnete/r also nicht alles, was man Ihnen über das „Prostituiertenschutzgesetz“ erzählt! Auch wenn Parteikolleg(inn)en den „Schutz der Prostituierten“ ansprechen: Misstrauen Sie dem! Denn es ist nichts anderes als eine Vorspiegelung falscher Tatsachen. Der vorliegende Gesetzentwurf soll mitnichten Prostituierte vor Zwang und Gewalt, er soll vielmehr die Gesellschaft vor Prostitution schützen. Mit ihm wird wieder Moral zur Richtschnur von Recht und Gesetz.


Wie können Sie diesen Rückfall in längst vergangen geglaubte Zeiten mit ihren politischen Grundüberzeugungen und ihrem Gewissen vereinbaren? Wie soll ein Gesetz, das darauf abzielt, den Lebensentwurf bestimmter Bevölkerungskreise für allgemein verbindlich zu erklären, zu einer pluralistisch verfassten Gesellschaft passen?


Prostitution bildet „nicht selten das Milieu für erhebliche Straftaten (Menschenhandel, Rauschgifthandel, Waffen- und Falschgelddelikte usw.), die mit einem hohen Organisationsgrad begangen werden. Aus Ermittlungssicht kommt erschwerend hinzu, dass dieser Bereich zunehmend von ausländischen Tätergruppierungen dominiert wird (Sprach- und Kulturbarrieren). Der Staat darf vor diesem Bereich nicht länger die Augen verschließen. Es ist menschenverachtend, wenn wir so tun, als ob alles in Ordnung ist, weil in der Theorie alles geregelt ist.“


Macht es Sie nicht nachdenklich, dass diese hier zitierte Passage aus dem Entwurf des Parteiprogramms der „Alternative für Deutschland“ (AfD) allenthalben auswechselbar ist und sich in nahezu gleichlautender Formulierung in sämtlichen entsprechenden Statements von CDU/CSU, von SPD und GRÜNEN findet?


Hier wie dort wird verschwiegen, dass einschlägige Delikte in diesem Bereich seit Langem rückläufig sind. Die erst vor wenigen Tagen veröffentlichte „Polizeiliche Kriminalstatistik 2015“ bestätigt einen imposanten Rückgang hinsichtlich aller Kennziffern bei so genannten „Rotlicht-Delikten“. Bei „Menschenhandel“ (§ 232 StGB) dokumentiert die offizielle Statistik für den Zeitraum 2000 – 2015 eine Halbierung sämtlicher einschlägiger Kennziffern (Fälle, mutmaßliche Opfer, Tatverdächtige). Das Verhältnis „Tatverdächtige im Verhältnis zu mutmaßlichen Opfern“ liegt seit Jahrzehnten bei etwas über 1: 1, sodass hier die Rede von „organisierter Kriminalität“ bzw. „ausländischen Tätergruppierungen“ (AfD) ein bewusst verzerrtes Bild der Realität liefert.


Noch eindeutiger sind die Verhältnisse in der EU. Laut jüngstem EUROSTAT-Bericht vom 19. April 2016 gibt es in der EU bezogen auf die mehr als 500 Millionen Einwohner in den beiden letzten Jahren jeweils 7.923 mutmaßliche (noch nicht einmal gerichtlich bestätigte) Opfer. Ein klarer Rückgang gegenüber den vorhergehenden Jahren! Mit einer Rate zwischen 0,3 und 0,2 Verurteilungen pro 100.000 Einwohner erweist sich der so genannte „Menschenhandel“ als eine der seltensten Kriminalitätsarten – ganz im Gegensatz zur schrillen Anti-Menschenhandels-Hysterie der offiziellen EU-Politik sowie abolitionistischer Hass-Predigerinnen, die meinen, an ihrem Lebensentwurf müsse die Welt genesen.


All diesen unbestreitbaren Fakten zum Trotz plädieren die Fraktionsspitzen der Regierungsparteien CDU/CSU und SPD für eine „Erlaubnisplicht für Prostitutionsgewerbe“ und für jederzeitige, verdachtsunabhängige und anlasslose Kontrollen. Sie haben sich damit eine fixe Idee des BKA aus dem Jahre 1993 zu Eigen gemacht! Sie haben sich mit dem Segen der Kirchen von oberen Polizeibehörden und Innenministerien einwickeln lassen und sich ein lupenreines Polizeigesetz in die Feder diktieren lassen. Was für ein Armutszeugnis!


Selbst Ausschüsse des Bundesrats sowie der Deutsche Juristinnenbund (djb) halten die Luft an und attestieren u.a. dem § 11 ProstSchG („Anordnungen gegenüber Prostituierten“), in seiner jetzigen Form mit der Verfassung nicht vereinbar zu sein. Gleiches dürfte auch für andere Gesetzes-Paragrafen gelten. Denn § 11 ProstSchG steht nur stellvertretend für den durch und durch repressiven Geist, der den vorliegenden Gesetzentwurf in Gänze auszeichnet.


Wenn es um Prostitution geht, schwärmen Politiker/innen aller Parteien geradezu verzückt vom Ideal der Selbstbestimmung. Wohlan! Wenn Ihnen dieser Grundsatz als Bundestagsabgeordnete/r wirklich am Herzen liegt, zögern Sie keinen Augenblick und gehen Sie mit gutem Beispiel voran! Es heißt, Sie hätten sich gemeinhin dem Fraktionszwang zu beugen und müssten Ihre persönlichen Überzeugungen dem unterordnen. Haben Sie jetzt den Mut und verweigern Sie sich einer Fremdbestimmung durch die in jeder Hinsicht unangemessenen Festlegungen Ihrer Fraktionsspitze! Zeigen Sie, dass Sie es mit der Selbstbestimmung wirklich ernst meinen!


Auch wenn Sie Ihre persönliche Wertschätzung, ihr politisches Wohlergehen und ihre materiellen Versorgungsansprüche als Bundestagsabgeordnete/r in hohem Maße der Unterordnung unter den Fraktionszwang Ihrer Partei verdanken: Widerstehen Sie an diesem Punkt der Versuchung einer Fremdbestimmung! Entscheiden Sie autonom! Leben Sie vor, was man Sexarbeiter/innen predigt! Stimmen Sie mit ‚Nein‘, wenn es darum geht, hierzulande 200.000 Frauen einem repressiven Kontroll-Gesetz zu unterwerfen!


Gerade migrantischen Sexarbeiter/innen wird gerne nachgesagt, sie seien leichtgläubig, fallen auf allerlei Täuschungen herein und folgen unbesehen den Verlockungen des leicht verdienten Geldes. Dem müsse man entgegentreten.


Gehen Sie als Bundestagsabgeordnete/r auch hier mit gutem Beispiel voran!
Vertrauen Sie nicht leichtgläubig der allzu durchsichtigen medialen Inszenierung von Deutschland als dem „Bordell Europas“. Misstrauen Sie den Horror-Szenarien einer massenhaften Flutung des Prostitutionsgewerbes durch fremdgesteuerte Armutsmigratinnen! Billigen Sie auch ausländischen Frauen die Befähigung zu rationalen Entscheidungen zu! Fallen Sie nicht herein auf die Legende, Frauen in der Prostitution seien nichts als „hilflose Opfer“, außerstande im Falle von Zwängen sich selbst zu helfen.


Stimmen Sie also mit ‚Nein‘, wenn man Ihnen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen die Zustimmung zu einem Gesetz abnötigt, das unter dem Strich einer gesellschaftlichen Ächtung von Prostitution gleichkommt!
Oder können Sie es als Bundestagsabgeordnete/r mit Ihrem Gewissen vereinbaren, dass Sexarbeiter/innen hierzulande zu Tausenden per Gesetz in die Illegalität gezwungen und damit de facto für vogelfrei erklärt werden?


Und bedenken Sie bitte: Die Ächtung der Prostitution ist erfahrungsgemäß nur der Einstieg in einen erneuten repressiven Umgang mit Sexualität auch jenseits von Prostitution. Finden Sie das wünschenswert? Ist das Ihr Ideal einer zukünftigen, freien Gesellschaft?


Doña Carmen e.V. hat anlässlich des Inkrafttretens des rot-grünen Prostitutions-gesetzes im Jahre 2002 erklärt, es handele sich dabei um ein „Schaufenstergesetz“, das die realen Probleme des Prostitutionsgewerbes nicht löse. Wir haben mit unserer damaligen Einschätzung Recht behalten. Aber hören wollte das selbstverständlich niemand. Heute, vierzehn Jahre später, fällt unsere Bewertung des vorliegenden Entwurfs für ein „Prostituiertenschutzgesetz“ nicht minder desaströs aus. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied: Das jetzt vorliegende Polizeigesetz zu Prostitution werden sich die Betroffenen nicht bieten lassen! Bitte bedenken Sie das!


Wir appellieren an Sie als Bundestagsabgeordnete/r, die nicht nur von unserer Seite, sondern auch von vielen anderen gesellschaftlichen Organisationen vorgetragene Kritik ernst zu nehmen.


Deshalb:




  • – Geben Sie den Sexarbeiter/innen Rechte, statt Behörden und Polizei immer mehr Kontrollrechte!




  • – Treten Sie gemeinsam mit den Betroffenen für die rechtliche Gleichbehandlung von Prostitution mit anderen Gewerben ein!




  • – Tragen Sie mit dazu bei, dass diskriminierendes Ausnahmerecht und das nach wie vor bestehende Sonderstrafrecht gegen Prostitution endlich der Vergangenheit angehört!




Kurzum: Verweigern Sie dem so genannten „Prostituiertenschutzgesetz“ in Gänze Ihre Zustimmung!


Mit freundlichen Grüßen


Juanita Henning
Sprecherin Doña Carmen e.V.



Quelle: https://www.donacarmen.de/offener-brief-an-die-abgeordneten-des-deutschen-bundestags/





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Prostituiertenschutzgesetz trägt Handschrift der Polizei


Veröffentlicht am 17. März 2018 von Doña Carmen e.V.


Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Freunde,


unsere Organisation – der Verein Doña Carmen e.V. – tritt ein für die sozialen und politischen Rechte von Frauen in der Prostitution.


Es dürfte kaum einen anderen Wirtschaftszweig in diesem Land geben, der in so hohem Maße polizeilich überwacht wird, wie das Prostitutionsgewerbe. Ich sage das, weil wir seit dem Jahr 2000 die polizeiliche Überwachung dieses Gewerbes in Form von Razzien dokumentieren. Das Ergebnis:


In den vergangenen 18 Jahren wurden im Zuge von 351 Großrazzien in 1.058 Gemeinden mehr als 9.500 Bordelle und Wohnungen durchsucht. 77.000 eingesetzte Ermittler kontrollierten vor Ort etwa 55.000 Personen, in der Regel Sexarbeiter/innen. Das ist schon stattlich.


Man sollte wissen, dass bei jeder 9. Razzia Spezialkräfte der Polizei zum Einsatz kommen: BGS bzw. Bundespolizei, Mobile Einsatzkommandos (MEK), Sondereinsatzkommandos (SEK) sowie in Einzelfällen sogar die Spezialtruppe GSG 9. Das zeigt, dass Rotlicht-Razzien immer auch Übungseinsätze für paramilitärische Verbände sind.


Die Razzien im Prostitutionsgewerbe sind nur die berühmte „Spitze des Eisbergs“. Ständige ‚reguläre’ Routinekontrollen der Polizei sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Durch sie werden nach unseren Berechnungen pro Jahr rund 40.000 Frauen kontrolliert.


Enthüllungen von Wikileaks haben ergeben, dass die amerikanische Regierung sich vom Frankfurter Polizeipräsidenten detailliert über Umfang und Ausmaß der Prostitutionsüberwachung informieren lässt. Das ging aus einem 2011 von Wikileaks veröffentlichten Kabelbericht hervor.


Doña Carmen nahm das zum Anlass, den damaligen Polizeipräsidenten, Dr. Achim Thiel, um Auskunft zu bitten, was es mit diesen Praktiken der Vernetzung deutscher und amerikanischer Polizeibehörden hinsichtlich der Prostitutionsüberwachung auf sich habe.


Herr Thiel schrieb seinerzeit an Doña Carmen:


„Nach meiner Erinnerung trifft es zu, dass ich wohl zur besagten Zeit ein Gespräch mit Angehörigen von US-Polizeibehörden geführt habe, in dem es um die Erfahrungen der deutschen und der US-amerikanischen Polizei bei der Bekämpfung der Rotlichtkriminalität ging. Dabei handelte es sich um einen üblichen Erfahrungsaustausch zur Pflege der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit.“
(Schreiben von Dr. Thiel an Doña Carmen, 22.11.2011)


Wir halten sowohl die überdimensionierte, repressive Polizeiüberwachung der Prostitution als auch den „üblichen Erfahrungsaustausch“ mit der US-amerikanischen Polizei für eine einzige Zumutung. Aber all das ist Normalität.


Es scheint den Herrschenden überhaupt nicht zu passen, wenn man ihr Handeln dokumentiert. Das mussten wir im letzten Jahr erfahren. Die bloße Tatsache, dass wir auf der Website von Doña Carmen eine für jeden einsehbare Statistik der Bordellrazzien führen, war zum Beispiel dem Frankfurter Finanzamt ein Dorn im Auge und ein willkommener Vorwand für den Versuch, uns die Gemeinnützigkeit zu entziehen.


So schrieb die Finanzbehörde im August 2017 an das Hessische Finanzgericht (ich zitiere):


„Der seit dem Jahr 2000 geführte Razzienspiegel und die regelmäßigen Proteste gegen Razzien durch die Polizei … lassen nicht erkennen, dass (Doña Carmen e.V.) ein Verständnis für die Aufgaben der Sicherheitsbehörden hat …“


(Zitat ende)


Eine kritische Haltung gegenüber der Polizei gilt dem Finanzamt offenbar schon als hinreichender Grund, um einem Verein die Gemeinnützigkeit zu entziehen! Das ist bemerkenswert!


Wir haben uns von den Attacken dieser Behörde nicht beeindrucken lassen und dokumentieren auch weiterhin die polizeiliche Überwachung von Sexarbeiter/innen. Wir wenden uns aber nicht nur gegen repressive Kontrollaktivitäten der Polizei vor Ort, sondern auch gegen den strukturellen Einfluss der Polizei auf politische Entscheidungen.


Wie ihr vielleicht mitbekommen habt, regelt seit Juli 2017 hierzulande ein so genanntes „Prostituiertenschutzgesetz“ den Umgang mit Sexarbeit in der Prostitution.


Zentrale Punkte des Gesetzes sind (1) eine medizinische Zwangsberatung, (2) die Zwangsregistrierung der Frauen, (3) ein damit verbundenes Zwangsouting der Betroffenen, (4) die Einführung eines Hurenpasses, den Sexarbeiter/innen ständig mit sich führen müssen, sowie (5) weitgehende Betretungsrechte der Ordnungsbehörden in Prostitutionsstätten.


Für das Betreten von Prostitutionsstätten braucht man zukünftig keinen Durchsuchungsbeschluss mehr. Da kann die Polizei jederzeit hereinspazieren.


Dazu muss man wissen: Eine Prostitutionsstätte liegt bereits dann vor, wenn nur zwei Frauen in einer Wohnung der Prostitution nachgehen. Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 GG ist damit nicht nur für Sexarbeiter/innen außer Kraft gesetzt. Denn das Betretungsrecht gilt auch dann, wenn nur der Verdacht besteht, dass eine Frau in ihrer Wohnung möglicherweise der Prostitution nachgeht.


Das Kernelement des Prostituiertenschutzgesetzes, die „Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten“, ermöglicht zudem eine umfassende Kontrolle der dort tätigen Frauen. Überwachungsbehörden können bei Bedarf ein nahezu lückenloses Bewegungsprofil von Frauen in der Prostitution erstellen.


Man kann es drehen und wenden, wie man will: Das neue Prostituiertenschutzgesetz ist ein lupenreines Polizeigesetz!


So hat man einzelne Elemente des Gesetzes direkt von der Polizei ausarbeiten lassen. Die Rolle von Politiker/innen erschöpfte sich darin, als ausführendes Organ der Polizei diesem Gesetz ein parlamentarisches Mäntelchen umzuhängen. Mit Verlaub, liebe Kolleginnen und Kollegen: Das sind Verhältnisse, die jedem Polizeistaat zur Ehre gereichen!


Wir haben nicht das geringste Problem, unseren Vorwurf detailliert zu belegen und können dabei Ross und Reiter nennen:


(1) Die „Erlaubnispflicht für Prostitutionsgewerbe“ ist ein Konzept des BKA aus dem Jahre 1993. Ulrich Sieber, seinerzeit Professor für Strafrecht an der Uni Würzburg, entwickelte es in der vom BKA finanzierten Auftragsstudie „Logistik der Organisierten Kriminalität“. Erklärtes Ziel war die Einführung neuer Eingriffsbefugnisse des Staates wie etwa die Abkoppelung polizeilicher Ermittlungen vom Erfordernis eines konkreten Tatverdachts.


(2) Die Meldepflicht für Sexarbeiter/innen war eine Idee der Polizeidirektion Hannover, die 1999 eine komplette Gesetzesinitiative zur Prostitutionsreglementierung vorlegte. Kriminaloberrat Schnelker trug sie 2001 bei einer Anhörung im Bundesfamilienministerium vor.


(3) Die Gesundheitsberatung und die Sonderbehandlung von Frauen unter 21 Jahren sind leicht abgewandelte Vorschläge des Augsburger Kriminalbeamten Helmut Sporer aus dem Jahre 2006.


(4) Die im Prostituiertenschutzgesetz verankerten weitgehenden Betretungsrechte der Polizei im Bereich Wohnungsprostitution gehen zurück auf Vorschläge, für die sich Detlef Ubben vom LKA Hamburg stark gemacht hat. Das „Hamburger Abendblatt“ berichtete 2011 mit Verweis auf Herrn Ubben auf eine diesbezügliche Gesetzesinitiative, die maßgeblich in Hamburg entwickelt wurde.


All das verdeutlicht: Das Prostituiertenschutzgesetz trägt von A bis Z die Handschrift der Polizei!


So wundert es natürlich nicht, dass damit elementare Grundrechte für Sexarbeiter/innen außer Kraft gesetzt werden: das Grundrecht auf Berufsfreiheit, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung sowie der Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung.


Dagegen hat Doña Carmen eine Verfassungsbeschwerde auf den Weg gebracht, die noch in diesem Jahr vom Bundesverfassungsgericht verhandelt wird.


Eins ist klar: Gegen Polizeigewalt, gegen Entrechtung und Diskriminierung sollte man sich wehren – juristisch, politisch und mit Aktionen wie dieser heute!


Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit!



Quelle: https://www.donacarmen.de/prostituiertenschutzgesetz-traegt-handschrift-der-polizei/#more-1992



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